Mauerfall, DDR, Stasi, Wiedervereinigung
Foto: © Anny Bader / [030]

Millennials und die deutsche Einheit: Blick in eine ferne Zeit

Deutschland war mal in West und Ost aufgeteilt. Darüber lernt man bei mir zuhause in Niedersachsen einiges in der Schule. Die Menschen, die damals in der DDR lebten, hatten es nicht leicht. Sie durften nur innerhalb des Ostens verreisen, man überwachte sie und ein Besuch bei Verwandten im Westen war nahezu unmöglich. Soviel zu den Stereotypen.

Ich bin 22 Jahre alt, habe Bilder vom ehemaligen Osten gesehen und hier und da mal etwas darüber gelesen. Am 3. Oktober war der Tag der Deutschen Einheit. Nicht nur, aber gerade für Berliner ist dies ein besonderer Tag. Geschichte sei Dank. Um die Emotionalität dieses Feiertags im Hier und Jetzt besser nachvollziehen zu können, begebe ich mich an Orte, an denen das Vergangene konserviert wird. Welche Spuren der damaligen Zeit sind heute noch sichtbar? Und wie wirken sie auf mich? Ein Selbstversuch.

Mauermuseum Checkpoint Charlie

Am Checkpoint Charlie, dem bekanntesten und berüchtigsten Grenzübergang der damaligen Zeit, befindet sich eines der insgesamt zwei Mauermuseen. In der Regel ein Touristen-Hotspot. Selfies mit uniformierten Grenzerdarstellern. Devotionalienhändler an jeder Ecke. Bezogen auf die Ernsthaftigkeit des Thema Deutsch/Deutsche Teilung ein völlig überzeichneter, skuriler Ort. Im Museum ein gefassteres Bild. Die Wände sind tapeziert mit Infotafeln und erhaltenen Dokumenten aus der Zeit nach dem 2. Weltkrieg bis zum 3. Oktober 1990 – Der Wiedervereinigung Deutschlands.

Foto: © Anny Bader / [030]

Besucher*Innen erfahren von individuellen Geschichten. Geliebte Menschen auf der anderen Seite der Mauer. Vermisste Kinder. Überwachung und Verhaftung der ostdeutschen Staatssicherheit, besser bekannt unter dem Kürzel Stasi. Insgesamt vier Kinder ertranken in der Spree kurz vor der Grenzüberquerung. Warum? Aufgrund des Schießbefehls traute sich niemand hinterher zu springen und zu helfen. Eine schrecklich Situation, auch Jahrezehnte danach unvorstellbar. Ein weiteres Thema: Fluchtgeschichten, genauer, Ideen, wie die Mauer überquert werden könnte. Einige der selbstgebauten Fluchtfahrzeuge sind im Mauermuseum zu sehen. 57 Personen widerum gelang die Flucht durch einen Tunnel, der berühmte „Tunnel 57“. Auch Fotos von Demonstranten zeigt die Ausstellung. Mutige Menschen, denn wer sich lautstark gegen den Staat erhob, wurde im Anschluss entweder von der Stasi bespitzelt oder kam gleich in den Knast.

Selbstgebautes Fahrzeug zur Flucht aus der DDR | Foto: © Anny Bader / [030]

Stasimuseum

Apropos Knast. In Hohenschönhausen befindet sich das Museum, welches sich ausschließlich mit der Stasi, folglich dem Überwachungsstaat DDR beschäftigt. Es befindet sich in der Zentrale des ehemaligen MfS (=Ministerium für Staatssicherheit). Einer der Orte, der bei dem Zusammenbruch der DDR im November 1989 von den Demonstranten als erstes gestürmt wurde. Und dennoch: Innendrin scheint die Zeit bis Heute stillzustehen. Es sieht alles noch so aus, wie vor dem Mauerfall. Gruselig. Ohne direkten Bezug ist der Kalte Krieg und seine perversen Auswüchse, zu denen die Stasi zählte, für mich schwer vorstellbar. 

Als wäre nichts passiert: Büro im ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit. – Foto: © Anny Bader / [030]

Die DDR betrachtete den kapitalistischen und imperialistischen Westen als Feind. Wer kritisch über den Staat dachte oder sich diesem widersetzte oder auch nur eine andere Lebensform ausübte, galt ebenfalls als Feind des Volkes und wurde mit der gesamten Macht des Staatsapparates bekämpft. Kleidung, Haarschnitt, Musikgeschmack, …, was von der Norm abwich, galt als staatsfeindlich. Zu den Aufgaben der Stasi gehörte es demnach Beweise zu sammeln (oder zu fingieren). Besucher*Innen der Ausstellung erhalten einen Überblick darüber. Fotos zeigen Spitzel bei der Arbeit. Dem Equipment der Stasi ist im Museum ein eigener Raum gewidmet. Da sieht man eine Kamera, die in ein Vogelhaus eingebaut wurde. Kameras, die durch Knöpfe hindurch filmen. Abhörgeräte in Kassettenrekordern. Dokumente, in denen jeder einzelne Schritt, jeder zwischenmenschliche Kontakt der bespitzelten Person akribisch festgehalten ist. Wenn ausreichend „Beweise“ gesammelt wurden, kam es zur Festnahme. Was für ein perverses Unterfangen.

Feind schaut zu: Stasi-Vogelhaus mit eingebauter Kamera. | Foto: © Anny Bader / [030]

Nach einem Besuch an diesen zwei besonderen Orten, erschließt sich mir die Emotionalität des Feiertags viel deutlicher. Der Tag bedeutet das Ende von alledem. Das Ende der Überwachung und einem Leben in einer eingegrenzten Wirklichkeit. Seit dem Mauerfall muss niemand mehr Fluchtversuche planen und um sein Leben bangen, um geliebte Menschen wiederzusehen. Kein West und Ost mehr, sondern nur noch die deutsche Einheit. Auch wenn dieser Tage das Gemeinsame gefeiert wird, die Unterschiede sollte man dennoch nicht außer acht lassen. Aber als spannenden Element unseres Landes, nicht als trennendes. Das würde ich mir jedenfalls wünschen.

 

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