Abstand – das war es, was Grizzly Bear nach dem letzten Album „Shields“ brauchten. Fünf Jahre nach der 2012er-Erfolgsplatte bewegten sich Sänger Ed Droste, Drummer Chris Bear, Bassist Chris Taylor und Gitarrist Daniel Rossen vorsichtig aufeinander zu, um zu neuen Songs zu finden. Das Ergebnis „Painted Ruins“ ist seit Kurzem zu hören und wird am 12. Oktober in der Columbiahalle präsentiert. Zum Glück, möchte man sagen, denn dass es überhaupt wieder einen Langspieler der sogenannten Weird Folk-Helden gibt, ist keine Selbstverständlichkeit.
Nie kamen Grizzly Bear umhin, den demokratischen Ablauf ihrers Songwritings zu betonen. Schwierig nur, wenn die Meinungen auseinander driften und sich die Lebensmittelpunkte verschieben. Droste zog vom wilden New York nach Los Angeles, boxte sich durch eine Scheidung und stellte die Rückkehr zu Grizzly Bear in Frage. »Ich hatte mit der Trennung zu kämpfen und brauchte diesen Abstand. Hätte mir schon eher jemand gesagt „Lass’ mal ein Album machen!“ – ich hätte nein gesagt.« Währenddessen tourte Chris Bear mit Beach House, Chris Taylor arbeitete als Produzent. Letzterer war es auch, der für neue Zusammenkünfte sorgte. Sein Clou: Eine Dropbox für Melodie- und Text-Fragmente einrichten. Schließlich traf man sich wieder in kleinen Gruppen zum Songwriting – so lange, bis der Funke übersprang.
Interne Reibereien
Von einem Album war jedoch lange Zeit nicht die Rede. »Unser Motto war: Wenn etwas Gutes rauskommt, wird es ein neues Album geben – wenn nicht, dann nicht. Das wäre okay gewesen. Wichtig war, dass jeder das Gefühl hat, den Songs eine eigene Note zu verpassen. Das ist bei meinungsstarken Personen nicht leicht. Am Ende war jeder begeisterter als je zuvor. Anders als bei „Shields“. Da war es schwierig.«, räumt Chris Bear ein. Erstaunlich, gilt die 2012er-Platte doch als Masterpiece der Band? »Mag sein«, so Bear. »Eigentlich sind wir stolz auf das, was wir machen. In diesem Fall aber nicht. Es gab Reibereien während der Entstehung von „Shields“. Jetzt hingegen sind wir reifer, können uns mehr wertschätzen, wissen, wie wir miteinander arbeiten müssen und genießen es.«
Neue Eingängigkeit
Eine Reifungsprozess, der sich auf den Sound von „Painted Ruins“ niederschlug. Seit ihrem ersten Album „Yellow House“ von 2006 haben sich Grizzly Bear zunehmen vom „Weird Folk“ entfernt und finden mit dem Einzug von Synths und Beats verstärkt zu Zugänglichkeit. Hook-lastige Singles wie „Mourning Sounds“ oder der Doo-Wap-Fünfminuter „Loosing All Sense“ spiegeln das wider. Dennoch – und genau hier mag die Qualität liegen: Gänzlich erfassen lassen sich die elf Songs der Platte beim ersten Hinhören nicht. Aufgeräumtes trifft aus Psychedelisches, opulente Instrumentierung auf feinste Details, die sich auch nach mehrfachem Abspielen noch in unerwartete Richtungen winden. Oder wie Ed Droste singt: »Its chaos, but it works!«
Keine expliziten Verweise
Album Nummer vier als eindeutiges Zeugnis von persönlichen Krisen? So einfach ist am Ende dann aber doch nicht. „Sky Took Hold“ könnte als Trennungs-Song durchgehen, genaue Bestätigungen findet man in den verwaschenen Zeilen jedoch nicht. Grizzly Bear halten sich mit Erklärungen zurück. „Es geht um die Vertreibung persönlicher Dämonen, aber ein zentrales Thema für das Album war das nie. Gleiches gilt für politische Stellungnahmen.“ So beginnt “Aquarian” mit den Lieblingsworten von Donald Trump (“Great Disaster”), wird aber nie zu einer expliziten Kritik. »Es wäre doch peinlich, wenn wir einfach „Uh uh, no more Trump!“ singen würden«, meint Droste. »Wir finden außerhalb des Songwriting direkte Wege, unsere Unzufriedenheit mit der politischen Situation auszudrücken. Manchmal hat man das Gefühl, man bekämpft ein durchgedrehtes Biest, aber wir müssen weiter gegen diese negativen Dinge kämpfen – auch wenn wir das nicht zum Mittelpunkt unserer Musik machen!«
Regeneration schafft Potential
Kämpfen ist im Übrigen ein gutes Stichwort, denn für Grizzly Bear hat sich das Zusammenraufen offenbar gelohnt. Am Ende ist ein großartiges Album entstanden, mit dem die Band ihren Sound geschickt weiterdenkt. „Painted Ruins“ pendelt angenehm zwischen bekannten Kunst-Momenten und neuer Pop-Attitüde, spielt verstärkt mit Retro-Elementen, ohne jemals retro zu sein, und bezirzt mit lieblich-schrulligen Melodien. Jeder noch so kleine Ton ist genau justiert und verführt dennoch dazu, sich in ihm zu verlieren. So wenig vielversprechend die Anfänge gewesen sein mögen, das Ergebnis kann sich sehen hören und beweist: Grizzly Bear finden ihr Potential in der Unsicherheit.
Grizzly Bear – Painted Ruins erschien am 18. August bei RCA
Titelfoto: © Tom Hines
Am 12. Oktober ab 20 Uhr live im Huxleys