Gebrochene Figuren vor einer einschüchternd-imposanten Naturkulisse zeigt das atmosphärische Krimidrama „Wind River“, bei dem Drehbuch-Shootingstar Tylor Sheridan – verantwortlich für die Skripts zu „Sicario“ und „Hell or High Water“ – auch auf dem Regiestuhl Platz genommen hat.
In der Einöde des US-Bundesstaates Wyoming geht der Jäger und Fährtenleser Cory Lambert (Jeremy Renner) stoisch seiner Arbeit nach, die ihn regelmäßig in das Wind-River-Indianerreservat führt. Dort entdeckt er eines Tages im Schnee die gefrorene und barfüßige Leiche der 18-jährigen Natalie (Kelsey Asbille), einer Freundin seiner vor drei Jahren unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommenen Tochter. Als die FBI-Beamtin Jane Banner (Elizabeth Olsen) den abgelegenen Landstrich erreicht, um den schaurigen Fall näher zu untersuchen, greift der ortskundige Cory der unerfahrenen Polizistin bei ihren Ermittlungen unter die Arme. „Wind River“ wirkt auf den ersten Blick wie ein klassischer Whodunit-Krimi, ist aber keineswegs daran interessiert, raffinierte Wendungen und komplexe Handlungsbögen zu entwerfen. Vielmehr nutzt Sheridan, der seine Filmkarriere als Schauspieler begann, das grausige Mordszenario als Aufhänger für einen eingehenden Blick auf einen oft ausgeblendeten Bereich der amerikanischen Gesellschaft. Mehr als einmal wird betont, wie schwer die Einsamkeit und die Stille des unwirtlichen Reservates auf den Bewohnern lasten, die sich allein gelassen fühlen, ausgrenzt und an den Rand gedrängt. Der lokale Polizeichef Ben (Graham Greene) ist angesichts einer eklatanten Unterbesetzung heillos überfordert. Und viele der indianischen Nachfahren versinken zunehmend in Resignation, da es für sie in der Abgeschiedenheit keine Perspektiven gibt. Vor allem die Jugendlichen suchen ihr Heil im Drogenkonsum und in kriminellen Geschäften, die die Leere freilich nicht erträglicher machen.
In „Wind River“ kreiert der Texaner Sheridan, auch dank eindringlicher Klageklänge auf der Tonspur, eine unterkühlt-düstere Stimmung, die nur vereinzelt von kleinen Hoffnungsschimmern und einprägsamen mitmenschlichen Gesten durchbrochen wird. Ein besonders intensiver Moment ist das Gespräch, bei dem der schweigsame, von seinem eigenen Trauma verfolgte Cory dem Vater der toten Natalie (Gil Birmingham) auf leise, aber berührende Weise Trost spendet. Hier und anderswo zeigt Jeremy Renner, dass in ihm ein echter Charakterdarsteller steckt. Nuanciert kehrt der im kalifornischen Modesto geborene Mime den Schmerz und die Entschlossenheit des Fährtenlesers nach außen, dessen Ex-Frau (Julia Jones) ebenfalls aus dem Indianerreservat stammt. FBI-Agentin Benner wird als linkische Novizin gezeigt, verkommt in Elizabeth Olsens solider Performance zwar nicht zu einem rundum trotteligen Grünschnabel, hätte rückblickend betrachtet jedoch ein etwas stärkeres Profil verdient gehabt. Bis zum letzten Akt schlägt Sheridan ein eher bedächtiges Erzähltempo mit kleinen Spannungsexplosionen an, lenkt das Geschehen im Schlussdrittel dann allerdings in spürbar wüstere Bahnen. Die Gewalteruptionen auf der Zielgeraden – bemüht wird nicht zuletzt ein fragwürdiger Akt der Selbstjustiz – haben durchaus Holzhammercharakter, sagen gleichzeitig aber auch einiges über das unheilvolle Gebräu an Frustrationen und Langeweile aus, das an dem entlegenen, von Bergen und Wäldern umgebenen Schauplatz vor sich hin brodelt.
Wind River
Länge: 107 Min.
Regie: Taylor Sheridan
Darsteller:
Jeremy Renner, Elizabeth Olsen, Graham Greene, Julia Jones,
Kelsey Asbille, Gil Birmingham, Jon Bernthal, Teo Briones
Kinostart: 08.02.2018