rote zora, dokumentation
Foto: Screenshot Frauen bildet Banden – eine Spurensuche zur Geschichte der Roten Zora

Dokumentation: Frauen bildet Banden – eine Spurensuche zur Geschichte der Roten Zora

Der Titel der Dokumentation „Frauen bildet Banden – eine Spurensuche zur Geschichte der Roten Zora“, die am 17. März im Café Cralle gezeigt wird, wirft jene Fragen auf, die wohl vielen unserer LeserInnen unter den Nägeln brennt. Wer war die Rote Zora, wenn nicht das Buch oder die TV-Serie gemeint ist? Gegen was ging sie vor? Am Ende bleibt vor allem eine Frage: Was hat die revolutionäre Frauenbande aus den 1970er Jahren, die mit allen Mitteln des revolutionären Kampfes gegen die Macht des Patriarchates aufbegehrte, im Hier und Jetzt hinterlassen? Auch wir haben uns auf Spurensuche begeben.

Wenn man von ‚der‘ roten Zora redet, dann denkt man an das Mädchen mit den wilden, roten Haaren aus einem fast 80 Jahre altem Roman, das vom Tagesspiegel einst herzlich als „Klassenkampf im Kinderzimmer“ betitelt wurde. Aber nein, der folgende Beitrag wird keine Review zu dem gleichnamigen Jugendroman „Die rote Zora und ihre Bande“ von Kurt Kläber. Aber es ist wichtig, das Setting und die Tonalität des Romans zwecks besseren Verständnisses der gleichnamigen revolutionären Bewegung, um die es in der obigen Doku geht, zu umreissen.

DIE ROTE ZORA UND IHRE BANDE

Die weibliche Hauptfigur aus dem Jugendroman ist die 13-jährige Zora, die einen Jungen aus dem Gewahrsam befreit. Dieser wurde des Diebstahls beschuldigt und schließt sich nach seiner Rettung Zoras Bande an. Diese besteht aus bedürftigen Waisenkindern, die aufgrunddessen, dass sie von der Gesellschaft wie Ausgestoßene behandelt werden, sich eben jenem Image anpassen. Sie klauen, beschädigen Sachen und stiften Unruhe.

Flyer vorne CMYK
© LAS OTRAS FrauenLesbenFilmCollectiv

Regeln gibt es innerhalb der Bande nicht viele, aber eine ist essentiell: bedingungslose Solidarität. Die ungehorsame, den Gesetzen und dem bürgerlichen Frauenbild-widerstrebende Zora war genau das, was die spätere revolutionäre Gruppierung Rote Zora, gegründet Ende der 1970er Jahre, auch nach Außen darstellen sollte. Das leitend-feministische EMMA-Magazin (von Jounalistin Alice Schwarzer in den 1970ern gegründet) fand 1984 ein Interview im Briefkasten der Redaktion, das die Rote Zora dort hinterließ. Darin wurden die Fragen von der Gruppe selbst formuliert und beantwortet. PR in eigener Sache. Hierin hieß es, im Bezug auf das Jugendbuch: „Die ‚rote Zora und ihre Bande‘ – das ist die wilde Göre, die die Reichen bestiehlt, um’s den Armen zu geben. Und Banden bilden, sich außerhalb der Gesetze zu bewegen, das scheint bis heute ein männliches Vorrecht zu sein. Dabei müssten doch gerade die tausend privaten und politischen Fesseln, mit denen wir als Mädchen und Frauen kaputtgeschnürt werden, uns massenhaft zu ‚Banditinnen‘ für unsere Freiheit, unsere Würde, unser Menschsein machen.“ Die EMMA veröffentlichte das Interview mit der Klarstellung, sie würden die Positionen der Roten Zora nicht teilen, aber dennoch wollen, dass eine kritische Diskussion zu dem Thema stattfinde.

„FRAUEN ERHEBT EUCH UND DIE WELT ERLEBT EUCH!“

Ihr militantes Vorgehenspotential hatte die Rote Zora jedoch nicht aus dem Kläber‘ Roman geschöpft, sondern in den Revolutionären Zellen (RZ), einer Stadtguerilla, die seit den 70er Jahren bis offiziell 1992 aktiv war, von Pike auf gelernt. Die Rote Zora, einst innerhalb der Zelle gegründet, spaltete sich 1986 als der radikal-feministische Arm ab. Aufmerksamkeit erregte die Frauengruppe erstmals im April 1977, als sie einen Sprengstoffanschlag auf die Kölner Bundesärztekammer verübte und im Bekennerschreiben erklärte, sie betrachte die Bundesärztekammer als „Vertreter der Vergewaltiger in weißen Kitteln“. Damit stiessen sie nicht nur auf Wohlwollen. Alle Flügel der unterschiedlichen Frauenbewegungen in der Bundesrepublik lehnten die Militanz der Roten Zora und anderer feministischer Aktivistinnen ab. Insbesondere aber während der Entwicklung der 80er Frauenfriedensbewegungen wurden friedliche Konfliktlösungen gefordert. Der entscheidende Unterschied zwischen der Roten Zora und beispielsweise der Roten Armee Fraktion oder der 2. Juni-Bewegung, war die Tatsache, dass für die Frauengruppe kein „Krieg“ (RAF) herrschte. Die Rote Zora verstand die durch sie ausgeübte Gewalt als Gegengewalt gegenüber den bestehenen Verhältnissen. Um ihre Aktionen zu verstehen, muss man die politischen Forderungen der Roten Zora und die damaligen Lebensverhältnisse der Frauen in der BRD erläutern, denn die Rote Zora war nicht einfach nur unzufrieden, weil Männer bessere Jobs hatten oder mehr verdienten. Sie wollten eine befreite Gesellschaft an, ohne die systematische Unterdrückung des vermeintlich schwächeren Geschlechts.

Radikaler Frauenkampf und Gesetzestreue – das geht nicht zusammen! – Zora 1

Frauen bildet Banden / BRD / Rote Zora
© LAS OTRAS FrauenLesbenFilmCollectif

Sie lehnten die politischen, sozialen und ökonomischen Verhältnissen ab, die Frauen das Mitspracherecht verwehrte und sie ihres Geschlechtes wegen degradierte. Die Aktionen der Roten Zora stellten sich gegen Gewalt an Frauen, gegen „Frauenausbeutung aus der 3. Welt“ sowie die aufkommende Gen- und Reproduktionstechnologie, die zum Teil ihren Ursprung in der Denke des Nationalsozialismus hatten. Die Legitimation ihrer Handlungen fand die Gruppe dabei, u.a. in den großen – nicht nur aus heutiger Sicht – skandalösen Themen ihrer Zeit: Vergewaltigung in der Ehe, die Duogynon – Skandale und der Frauenhandel. Ersteres ist in der BRD erst seit dem 1. Juli 1997 eine Straftat. Hitzige Diskussionen über einen Zeitraum von 20 Jahren gingen dem Vergewaltigung in der Ehe – Verbot voran. Aus heutiger Sicht kaum zu glauben. Noch 1990 äußerte sich der damalige CSU-Unterhändler und spätere Kanzlerkandidat (2002) Edmund Stoiber zu der Diskussion ‚Bestrafung von Vergewaltigung in der Ehe‘ so: „Mit uns nie!“ Was soll man auch von jemanden erwarten, der seine Frau Muschi nennt.

https://www.facebook.com/tagesschau/videos/10155393962669407/

Ein weiteres unrühmliches Beispiel: die Duogynon – Skandale. Worum ging es? Die Schering AG (das Vorgängerunternehmen von Bayer Pharma) brachte 1950 das Präparat Duogynon auf den Markt, das in der BRD als Schwangerschaftstest oder Behandlung von ausbleibender Perioden vermarktet und gehandhabt worden ist – der Urintest wurde nicht von der Krankenkasse übernommen und so mussten viele Frauen darauf zurückgreifen. Zahlreiche Frauen, die Duogynon während ihrer Schwangerschaft nahmen, gebaren kranke oder behinderte Kinder. Es kam zu zahlreichen Gerichtsprozessen. Duogynon wurde dennoch weitervermarktet – unter anderem Namen und in den Ländern der dritten Welt. Als es schliesslich 1981 vom Markt genommen wurde war es für tausende Frauen zu spät. Dennoch wurde Schering in mehreren Prozessen bezüglich der Nebenwirkungen des Medikaments freigesprochen. Die Rote Zora, bekennende Gegner der Humangenetik, nahmen diese Tatsache zum Anlass für einen Brandanschlag auf das Genzentrum Scherings in West-Berlin (1982). Dabei war, laut Erklärungen, die Zerstörung der Forschungseinrichtungen und die Einschüchterung der Wissenschaftler das Hauptinteresse der Frauengruppe. 

Frauenhandel? Frauen handeln!

Duogynon 1
Heute verboten: Duogynon – Bild: © muvs.org

1983 wurde ein Bus des bekannten Thaimädchen-Händlers Günter Menger von der Aktivistinnen in die Luft gejagt. Sein menschenverachtendes Geschäft dehnte sich nicht nur über asiatische, sondern auch afrikanische und lateinamerikanische Länder aus. „Dass er wegen dieser Geschäfte schon in den 70er Jahren ein Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandel und Begünstigung der Prostitution anhängen hatte, zeigt uns nicht, wie eifrig die Staatsanwälte in solchen Fällen ermitteln, sondern wie „dick“ der Typ im Geschäft steckt“, heißt es in dem Bekennerschreiben der Roten Zora zu dem Anschlag. Viele andere Frauenhändler kamen allerdings ungestraft davon. Sogenannte Heiratsvermittler veröffentlichen beispielsweise Annoncen, die deutschen Männern versprachen, mit einem „jungen, exotischen und anspruchslosen“ Thaimädchen ausgestatten zu werden. Die „Bild“ warb offen für das Geschäft mit der Serie: „Wie kaufe ich mir eine Frau?“ In dieser bezeugten Vermittler sie fänden es einen „Jammer, die süßen Blumen ungepflückt zu lassen“. Ja, die 70er/80er/90er waren eine dystopische Zeit für Frauen; nicht nur in der BRD, sondern weltweit. Unter dem Decknamen Zora 1 erklärt ein Mitglied der Roten Zora im bereits erwähnten Interview der EMMA:

Der legale Weg ist nicht ausreichend,
denn die gewöhnlichen Unterdrückungs-
und Gewaltstrukturen sind ja die Legalität.

Nach mehr als einer Dekade des Bestehens bekannte sich die Rote Zora 1988 zu 45 Sprengstoff- und Brandanschlägen. Ihre Ziele waren staatliche Institutionen, Forschungsinstitute, ausbeuterische Industrien, Frauenhändler und Pornoläden. 1995 verübte die Rote Zora ihren letzten Sprengstoffanschlag auf die Lürssen-Werft GmbH. Der Grund: Die Werft belieferte das türkische Regime seit Jahren mit Militärschiffen, mit denen der Mord an der kurdischen Bevölkerung gegen Profit in Kauf genommen wurde. Laut der Gruppe war es dabei nie die Intention die Verantwortlichen umzubringen, sondern ihre Institutionen und Hilfsmittel zu beschädigen oder zu zerstören. Soweit bekannt, sind durch die Sprengstoff- und Brandanschläge der Roten Zora nur Sachgegenstände beschädigt worden und glücklicherweise kein Mensch zu Schaden gekommen.

„WIR KÄMPFEN NICHT FÜR FRAUEN […], SONDERN MIT IHNEN!“ 

Gerade in Zeiten von #MeToo eine Geschichte, die in den Blick der Öffentlichkeit gerückt werden muss, um darauf zu verweisen, wie lange der Kampf gegen das Patriachat bereits geführt wird. Hierfür lässt das FrauenLesbenFilmCollectif LasOtras, unter deren Regie die Dokumentation „Frauen bildet Banden – eine Spurensuche zur Geschichte der Roten Zora“ entstand, Zeitzeuginnen, eine Historikerin und ehemalige Zoras sprechen. Durch sie wird die Geschichte der mühseligen, militant-feministischen Kämpfe und anderen feministischen Bewegungen wieder zum Leben erweckt. Unterlegt sind die Zeitzeugenberichte mit historischem Bildmaterial der bundesrepublikanischen Frauen- und Studentinnenbewegungen. Zudem wird der Blick über Ländergrenzen hinaus geworfen und der Einfluss der damaligen Ereignisse und deren Auswirkungen auf Frauen und deren feministischen Kämpfe aufgezeigt. Klar ist: Die Themen der Roten Zora sind immer noch hochaktuell. Und sie zeigen: Die dystopische Zeit für Frauen und Mädchen, hier und überall auf der Welt, ist noch immer nicht vorbei. Der Kampf noch nicht zu Ende. Oder um es in den Worten der Roten Zora zu schreiben:

Das Leben ist eine Frau
und ihre Augen
mal zornig mal heiter
sie nimmt sich die Waffe
die ihr paßt
und sagt dir
der Kampf geht weiter

Frauen bildet Banden – eine Spurensuche zur Geschichte der Roten Zora

Am 17.3. ab 19 Uhr
im
Café Cralle
Hochstädterstr. 10a
13347 Berlin

Mehr Infos:

FrauenLesbenFilmCollectif LasOtras

Foto: © LAS OTRAS FrauenLesbenFilmCollectif

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