Panikherz, Benjamin von Stuckrad-Barre, Berliner Ensemble
Bloß keine Panik! "Panikherz" läuft gerade im Berliner Ensemble in der Inszenierung von Oliver Reese

Berliner Ensemble: Intendant Oliver Reese über sein Regiedebüt „Panikherz“

Wie uns das Theaterstück zu Benjamin von Stuckrad-Barres Bestseller „Panikherz“ gefallen hat, hatten wir Euch ja bereits via Textbeitrag zukommen lassen. Wir haben mit dem Intendanten des Berliner Ensembles, Oliver Reese, der mit diesem Stück sein Regiedebüt an dem Theater gab, kurz nach der Premiere gesprochen und nach seiner Gemütslage befragt. Zudem mussten wir natürlich die Frage klären, ob es sich bei dem exzessiven Verbrauch weißen Puders um echtes Kokain handelte und wie BvSB die Bühnenadaption seines Buches fand.

Vier Benjamins auf der Bühne – wie kam es dazu?

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BE-Intendant Oliver Reese Foto: © Katharina Poblotzki

Das Berliner Ensemble ist ja ein großes Haus – das will gefüllt sein mit Energie und mit Drama. Mit Auseinandersetzung, mit Konflikt, mit Spannung. Das würde man nur mühsam mit einem Schauspieler hinbekommen. Gleichzeitig fand ich, dass in Stuckrad-Barres Roman extrem viele Konflikte in ihm toben: als Essgestörter – ich will fressen, ich will kotzen. Als Drogenabhängiger. Ich gehe in den Entzug, ich bestelle mir gleich wieder einen Dealer. Ich bin endlich clean. Das ist eine extrem gespaltene konfliktreiche Situation in ihm. Ich fand, dass es gut ist, es mit vier Schauspielern zu machen, von denen in Wirklichkeit keiner Benjamin von Stuckrad-Barre ist. Das sind viele Ichs, die sich gegenseitig Benjamin nennen, aber für sehr unterschiedliche Aspekte in so einem Leben stehen. Deswegen auch zwei Frauen und verschiedene Alter.

Warum zwei unterschiedliche Geschlechter ?

Damit wir uns nicht zu einfach identifizieren. Jetzt nehmen wir mal vier Look-Alikes aus dem Ensemble, schneiden die Haare kurz und die spielen Benjamin. Das finde ich nicht interessant. Ich habe mit Benjamin von Stuckrad-Barre über das Buch gesprochen – er sagt nie „Ich“. Er sagt immer „Der Held“. Da schiebt er etwas von sich weg, er macht deutlich: das ist Literatur. Das ist das Knausgard-Phänomen: Stuckrad-Barre hat ja auch die konfliktreichen Situationen ausgewählt. Bettina Hoppe, die so alt ist wie er jetzt, die spielt diesen abgeklärten, älteren Benjamin, der da aus dem Chateau zurückguckt auf sein Leben. Und die Carina, die so besonders jung wirkt, die fängt an – aber irgendwann verwischen sich die Grenzen zwischen den Figuren und das macht mir besonders Spaß.

Apropos Spaß: Welche der vier Figuren, die ja alle für verschiedene Lebensabschnitte stehen, hat Ihnen am meisten Spaß gemacht?

(lacht) Das klingt immer so fein, wenn man sagt, man mag die alle. Ich kann eins sagen: Mir macht am meisten Spaß, wenn die Schauspieler sich die größtmögliche Freiheit nehmen. Bei meinen Inszenierungen ist das so, ich bin nicht die Art von Regisseur, die denen auf die Finger klopft und sagt: Jetzt mal nix verändern hier. Im Gegenteil: Ich finde Proben sind dazu da, ein Korsett gemeinsam zu bauen und dann wird gespielt. Mir macht Spaß, wenn die Schauspieler während der Aufführung neue Dinge erfinden, improvisieren. Wenn nicht mehr ordentlich Theater gespielt wird – sondern mit der Lust, mit der Unterhaltung, von der Sie auch sprechen. Das sind für mich keine Schimpfworte. Diese Spiellust der Vier ist mein größtes Vergnügen.

Das Koks ist auf der Bühne hoffentlich nur Mehl…

… Es ist Talk..

Das Setting erinnert an das Chateau Marmont am Sunset Boulevard..

.. Genau! Oder sogar ans Hotel Atlantik. Diese Hotelwelt. Das ist die Welt, die Benjamin so liebt und in die er jetzt zurückgekehrt ist – wenn auch ohne Alkohol.

Hat Stuckrad-Barre das Stück schon gesehen?

Ja, er war in einer der letzten Proben da. Er saß ganz alleine im Zuschauerraum, hat viel gelacht, ein bisschen geweint und ist hinterher spontan auf die Bühne gelaufen, weil man da rauchen darf. Und dann hat er den Schauspielern eine kleine Liebeserklärung gemacht. Auf seinem Instagram-Account hat er uns noch eine kleine Hymne geschrieben.

Haben Sie im Vorfeld mit ihm Gespräche geführt?

Nein, er wollte nichts wissen. Er wollte die Fassung nicht sehen, er hat mir die Rechte einfach so gegeben für die Uraufführung. Und beim ersten Durchlauf war er dann auch dabei, das hat uns dann zusätzlich nervös gemacht. Aber auch in freudige Erregung versetzt – ich sehe den Autor nie als Feind, sondern als Partner. Er wird demnächst noch zu einer richtigen Aufführung kommen.

Ich hatte bei einer Aufführung ein besonderes Erlebnis mit Herrn Stuckrad-Barre: Als ich im BE saß habe ich eine der Visitenkarten, die ins Publikum flogen, gepostet. Der erste, der es geliked hatte war: Benjamin von Stuckrad-Barre…

 .. Sehen Sie! Der ist ganz schon fix..

Sie sind erst seit einigen Monaten Intendant am BE. Wie kamen Sie für Ihre erste Inszenierung auf Panikherz?

Ich habe schon viele autobiographische Stoffe gemacht. Oft von extremen Figuren. Lolita, Die Tagebücher von Goebbels… Ich will Benjamin von Stuckrad-Barre nicht in so eine scheußliche Ecke stellen, das Extreme, die Drogensucht, die Mischdrogen. Das sagen auch Drogenexperten, die uns beraten haben. Fälle wie ihn gibt es selten. Oft keine Intellektuellen sondern Menschen mit einer frühkindlichen Störung. Mir hat seine emphatische Sprache, seine Lust Worte zu erfinden, hat mir sehr gefallen. Ich hatte das Buch erst meinen Töchtern geschenkt. Die meinten: Das ist ein Hammer! Das musst du lesen!

Wie alt sind denn Ihre Töchter?

23 und 27 Jahre. Die kennen die Szene, kann ich Ihnen sagen. Die wissen, wovon die Rede ist.

Zum Schluss: Sind Sie zufrieden mit den Zahlen?

Mega zufrieden. Die Aufführungen sind ausverkauft.

Danke für das Gespräch.

Die nächsten Vorstellungen gibt es am 8., 9. und 16. März.
Mehr zu den Terminen und Restkarten (zumeist an der Abendkasse) findet ihr hier.

Foto: © Julian Röder

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