Matthias Arfmann kennt keine stilistischen Grenzen. Ob Kastrierte Philosophen, Absolute Beginner oder Turtle Bay Country Club – von Indienrock bis Hip-Hop und Dub ist dem Hamburger jedes Experiment recht. Das ändert sich auch mit dem neuesten Projekt „Ballet Jeunesse“ nicht.
Zusammen mit Sängerin Onejiru, Rap-Legende KRS-One, Schorsch Kamerun, Jan Delay, Kele Okereke von Bloc Party und dem Deutschen Filmorchester Babelsberg hat der Produzent 13 populäre Ballett-Klassiker neu aufgenommen. Klassik trifft dabei auf Beat-Kultur. Nicht etwa, um die Jugend mal eben auf die Seite der E-Musik zu holen. Es geht um persönliche Erinnerungen und die Schönheit der Musik, wie Matthias Arfmann und Onejiru im Interview verraten.
13 Ballett-Klassiker treffen auf Dub und Techno. „Nussknacker“ klingt da plötzlich ganz schön hip und verjüngt. War das euer Ziel?
M: Etwas verjüngen wollten wir nicht. Nicht vorsätzlich jedenfalls. Eigentlich wollten wir einfach schöne Musik machen.
O: Ja, eigentlich ist das eine Hommage an die Werke. Wir wollen nichts ersetzen.
M: Aber natürlich freue ich mich, wenn das ganz junge Leute toll finden und über den Umweg Zugang zu den Originalen finden. Bei den Jungen fadet das Wissen aus. Die kennen das nicht mehr. Alleine, wie die Musik hören. Die kennen keine fetten Anlagen mit Bass – nur Handylautsprecher und kleine Bluetoothboxen. Klingt alles gruselig.
Was war euch im Studio besonders wichtig?
O: Erst mal wollten wir nach Klängen forschen. Und die ganzen Basslines waren wichtig. Matthias sagt immer, die sind der Kitsch, der alles zusammenhält. Wir wollten schauen, was man aus den Werken noch rausholen kann. Die Bandbreite ist enorm geworden. Wenn man die entdecken will, empfehle ich „Nussknacker“ genau zu hören. Mein geheimer Favorit.
M: Ja, und die Dramaturgie sollte eine andere sein. So, wie wir das gemacht haben, hatten wir einen Schalk im Nacken. Da gehört ein bisschen Humor dazu.
Wie seid ihr eigentlich zur Klassik gekommen?
O: Ich habe sechs Jahre Ballett getanzt. Für meine Mutter war es wichtig, dass wir was machen. Ich habe in der Zeitung Mädchen gesehen, die an der Stange standen. Das war noch wundersam für mich, aber dann bin ich dort hin und war hin und weg.
M: In meiner Familie wurde das ganze Jahr über Klassik gehört. Meine Tante war Opernsängerin. Meine Eltern haben immer im Chor gesungen. Dann haben sie meinen Bruder und mich verhaftet: Wir mussten Klavierunterricht nehmen. Mit sechs oder so. Ab der Pubertät habe ich aufgehört. Ich hatte keinen Bock mehr. Aber im Nachhinein bin ich ihnen dankbar – trotz der schrecklichen Klavierlehrerin.
Na, auch tyrannisiert worden?
M: Die hat richtig tyrannisiert! Die hatte nur zwei Schulnoten: Eins plus und sechs minus. Du kannst dir vorstellen, welche ich hatte. Auf jeden Fall kannte ich die Stücke deswegen immer, auch wenn ich sie in all diesen Details nicht mehr so präsent hatte. Trotzdem legt man die in irgendeinem Teil des Gehirns ab.
Anders als bei Pop-Songs…
M: Ja. das ist das Gewaltige daran. Wenn man sie 20 Jahre später hört, ist alles wieder klar. Viele Lieder der Pop-Musik vergisst man. Die hört man wieder und denkt sich „joa“ – aber das war’s auch. Bei „Romeo und Julia“ macht es sofort Klick.
Ihr habt euch mitunter wahnsinnig komplexe Werke vorgeknöpft. Ein ganz schönes Wagnis.
O: Klar, das war vom ersten Ton an ein Wagnis!
M: Stimmt. Aber wie bei allem, was wir machen, waren wir auch da Autodidakten. Und wir haben viel Glück. Per Intuition lernen wir die richtigen Leute kennen und dann vertrauen wir denen voll und ganz und lassen die einfach machen.
Wie läuft das alles live ab?
M: Wir haben verschiedenste Konstellationen. Die Yellow Lounge war unser kleinstmöglichstes Set. Ich bin dann so etwas wie ein DJ und habe eine Konsole mit den Orchester-Sachen drauf. Dann gibt es ein mittleres Set mit Tanz – irgendwo zwischen Ballett und Contemporary. Das ganz große Set spielen wir beim Reeperbahn Festival mit einem Symphonie-Orchester. Es würde in der Theorie ein noch größeres Set geben: mit dem Orchester und den Tänzern. Wir probieren noch rum.
Und mit welchem Gefühl soll man am Ende heimgehen?
M: Ich meine das nicht Ego-mäßig, aber bei mir kommt das Orchester im Zusammenspiel mit uns gerade zuerst. Wir sind so sehr mit uns beschäftigt, weil wir noch nie mit einem Orchester aufgetreten sind. Wir hoffen einfach, dass wir nicht wie die letzten Dilettanten rüberkommen und dass das Orchester Spaß hat. Die sollen denken „was sind das für Verrückte?“. Und danach würde ich relativ überheblich sagen, dass sich es toll finden würde, wenn der oder die eine andere sagen würde „so was habe ich noch nicht gehört“.
O: Bei der Yellow Lounge habe ich in lauter glückliche Gesichter geschaut. Genau das wünsche ich mir.
„Ballet Jeunesse“ erschien am 9. September 2016 über Universal Music.