Seit ihrem ersten Album „These Things Take Time“ wissen wir, dass sie gern Whiskey Sour trinkt und jemanden sucht, der mit ihr ausgeht. So wie wir!
Es ist schon sehr „Berlin“. „This city is a cold and lonely place, I want to look into an unfamiliar face,“ und direkt denkt man an ein Winterwochenende in Berlin, Kreuzkölln, dem stilsicheren Setting zu Molly Nilssons „Won´t somebody take me out tonight“. Ihr weißblonder Zopf wippt entlang der Weserstraße, als sie sich von ihrer WG am Hermannplatz aufmacht ins Tier um mit uns ihr erstes deutsches Interview zu führen. Dabei ist Mollys Deutsch sehr gut. Nun ist sie aber schon eine geraume Zeit in Deutschland – eigentlich um Kunst zu studieren. In Schweden aufgewachsen, kam sie 2006 nach Berlin und arbeitete dann erst einmal im Berghain. Typischer geht´s kaum für eine Neuköllner SynthPop-Artistin mit dickem Pony und Purpurmund. Wie wir alle, mag sie an Berlin, dass man hier so gut verschwinden kann, lebte gern in Charlottenburg, bleibt aber doch, wo die anderen sind, und hat Angst, dass dort alle alt sind. Auch sie wird in Bars versetzt, bestellt sich trotzdem Drinks und begegnet dort Männer, mit denen sie im letzten Jahr geschlafen hat („Whiskey Sour“). All das ist nichts Neues – im Gegenteil, es ist sogar ziemlich stereotypisch für ein Leben in der Kapitale. Aber es ist wie beim Malen: wer „kann ich doch auch“ sagt, soll es eben tun. Molly tut´s. Und zwar ziemlich genauso, wie das ein großer Haufen Hiesiger nachvollziehen kann, denn seit 2008 veröffentlicht Molly jedes Jahr ein Album – und das immer erfolgreicher.
Musikalische Kunst ist nicht nur musisch
Im September letzten Jahres ist ihr jüngstes Album „Zenith“ erschienen, wie immer mit ihrem eigenen Label von Dark Skies Association und zum ersten Mal auch mit Night School Records. Wie die fünf Studioalben davor, ist auch dieses zur gleichen Zeit ekstatisch und lethargisch, wobei sich ihre Strophen inhaltlich sowie sphärisch der über 13 Tracks sehr viel energievoller als gewohnt entfalten. „1995“ ist einer davon: achtziger Jahre-Pop, wie ihn die 80er kaum hinbekommen hätten. Was sie im zugehörigen Video hingegen ganz herausragend hinbekommt, ist es, ihr sandweißes Gesicht mitsamt den so blauen Augen so mit ihrer Frisur einzurahmen, dass man meinen könnte, es gehe gar nicht nur um die Musik. Und ein bisschen stimmt das. „Ich verstehe meine Kunst nicht nur musisch, sondern auch sehr räumlich, auch farblich.“ Ihre Eltern sind Innenarchitektin und Graphiker. „Eigentlich wollte ich immer Comics zeichnen,“ erzählt sie und dreht viele Zigaretten. „Aber meine Songs sind sehr visuell, da kann ich das verbinden.“ Verbinden kann Molly sowieso gut, nicht nur Kunstrichtungen. Auch Tour- wie Reiseziele – gerade kommt sie aus Peru, weiter geht´s nach Wien. Vor allem aber Bilder, die man sich allzu schnell von ihr zu machen droht: eine Eisprinzessin mit Möchtegern-Melancholie für mehr Tiefe in tranigen Texten? Falsch, alles falsch! „Ich fühle mich gar nicht wie eine Musikerin. Genauso gut hätte ich schreiben können.“ Mach doch? „Ich bin ziemlich ungeduldig. Das passt nicht zu der Epik, die mir bei einem Buch vorschwebt. Kommt aber noch!“
Geschichten erzählen
Das glaubt man gern, vor allem beim Hören von „Zenith“. Sie besingt das „Window 1995“, eine Metapher „for what I feel inside/ although i´m older now/ there´s still an emptiness/ that´s never letting go somehow.“ 1995 war Molly zehn Jahre alt und hieß auch schon so. „Nilsson heißt in Schweden echt jeder. Molly nicht, nur „Molly Luft“ und ich,“ lacht sie und macht diesen Augenaufschlag, mit dem man Getränke ausgegeben bekommt. In unserem Falle noch einen Whiskey Sour. Um ein Haar hätte sie „Whitebread“ geheißen. Zu den Haaren hätte es tatsächlich gepasst, zur Musik nicht. „Lovers are Losers“ ist nämlich – man wagt es kaum auszusprechen – ein echtes Sommerlied. Nebst deutlichem Off-Beat geschieht im Clip das beinah Unglaubliche und Molly sitzt mit Badeanzug am Strand. Hätte der Kokosriegel „Bounty“ im Jahr 1991 bei ihr nach der Direktion eines Werbespots angefragt, es wäre dieser Clip entstanden. Chinawoman hätte sich für „Lovers are Strangers“ ruhig eine Scheibe Endorphin-Masse abschneiden können. Oder eben Weißbrot. „A girl next to me spills out her whiskey sour and I pretty sour you made me wait to soon half an hour,“ so besagter Song. Das war am Rosenthaler Platz, im „Kim“. Der Gedanke, sie habe dort an der Bar gesessen und irgendwann zu schreiben begonnen, ist einerseits schön weil wir wollen, das Künstler das so tun. Andererseits ist es ein ziemlich authentisches und nur allzu alltägliches Abbild der nächtlichen Berliner Tristesse aus Versacken und Versetzen. Nur das, dafür in bestechlicher Schärfe.
Optimistisch beim Verlieren
Und man muss überhaupt nicht traurig sein, bloß weil die Musik es hie und da ist. Man werfe bloß einen Blick auf Scott Matthew, der seine Lieder – bei denen man sich regelmäßig wimmernd auf den Boden werfen möchte – mit einer Flasche Wein und lauter Lustigkeiten kommentiert. Gut, ihre Stimme wirkt beim Singen nicht als habe sie den Hauptgewinn gezogen. Das will sie aber auch nicht. „Lovers are Losers“ ist eine Absage an die Liebe als Teil des kapitalistischen Systems. Da will man immer nur bekommen und behalten. „Wenn man allerdings verliert, hat man tatsächlich etwas zu verlieren gehabt. Jemanden, den man liebt, zum Beispiel.“ Molly hat einen Freund und wirkt nicht wie eine Verliererin. Oder aber eine gute – eine, die immer wieder verliert und froh ist um den Privileg des Verlierens. „Lovers are losers“ und unter anderem deshalb ist „Zenith“ eines ihrer optimistischen Alben. Ihr Lieblingsalbum ist immer das letzte. „Ich verstehe dann oft nicht mehr, wie ich das habe schreiben können. Das ist beeindruckend, aber auch fremd.“ Für alle anderen ist das, was sie da schreibt, auch beeindruckend, aber immer wieder vertraut.
Text und Drinks: Juliane Reichert
Molly Nilsson – “Zenith“ ist bei Dark Skies Association erschienen.