Wolfgang Herrndorfs 2010er Jugendroman „Tschick“ wurde vielfach preisgekrönt, in 24 Sprachen übersetzt, millionenfach verkauft und war wohl überhaupt in der Welt der Jugendbücher ein richtig großes Ding. Nachdem der Stoff innerhalb eines Jahres schon als Hörspiel und Theaterstück verarbeitet worden war, ist es nicht allzu verwunderlich, dass Filmstudios begannen, sich für die Rechte an einer Adaption zu interessieren.
Als Regisseur war zunächst David Wnendt gesetzt, den man nach "Feuchtgebiete" und "Er ist wieder da" auch als einen Spezialisten für Literaturverfilmungen in Deutschland bezeichnen könnte. Trotzdem übernahm im Juli letzten Jahres Fatih Akin das Ruder und bringt Tschick nun am 15. September in die deutschen Kinos. Der an einem bösartigen Hirntumor erkrankte Herrndorf tötete sich vor drei Jahren selbst. "Tschick" ist eine angenehm authentische Coming-of-age Story. Maik ist introvertiert und hat ein schickes und flüssiges, aber disparates Elternhaus, Tschick ist laut und hat ein ärmliches, immigriertes Elternhaus. Die beiden Außenseiter finden zusammen und beginnen schon einen Tag später in einem geklauten Lada einen Trip übers ostdeutsche Land. Dabei entdeckt Maik seine Abenteuerlust, Tschick seine Homosexualität und Beide machen eine Menge ungewöhnlicher Bekanntschaften. Der Episodencharakter war vermutlich im Buch noch ausgeprägter, man wünscht sich fast, Akin hätte den Mut gehabt, das verdauliche 90 Minuten-Format etwas auszureizen, denn die mal skurrilen, mal sehr schönen und immer irgendwie bereichernden zwischenmenschlichen Begegnungen, die auf der Reise passieren sind mindestens ebenso spannend wie die Entwicklung der beiden Hauptfiguren.
Nachdem Geschichten für Jugendliche in letzter Zeit gerne mit einer Menge Fantasy- und Action-Gewand überfüttert werden, geht Tschick einen ungezwungeneren Weg. Obwohl: Visuell geht es tatsächlich vor Allem in den blutigen Momenten, die die Geschichte rahmen ordentlich zur Sache. Ein Faktor mehr, der den Eindruck eines Jugendfilms, der sich durchaus auch für Erwachsene eignet erweckt. Nicht nur, weil man sich sehr gut erinnern kann, wie man selbst zu Schulzeiten verstohlen eine/n attraktive/n Klassenkameradin angeguckt oder Zettel durch die Bank gereicht hat, sondern weil er unser aller Abenteuerlust verhandelt und uns aufzeigt, wie viel von dem, worüber wir uns täglich den Kopf zerbrechen zu unserem Glück eigentlich gar nicht so wichtig ist. Etwas bizarr mutet mitunter die Figur der alkoholabhängigen Mutter an, die nicht wirklich als Konfliktfaktor, sondern eher als Clown inszeniert ist, damit all die gutbürgerlichen Zuschauer, die sich nicht vorstellen können, wie schwierig es wäre, wirklich ein alkoholabhängiges Familienmitglied zu haben, sich an einem Ausbruch aus der Normalität freuen können. Sehr schön inszeniert dagegen ist Tschick Bekenntnis zu seiner Homosexualität, gerade weil es sehr aus dem Nichts kommt und zu keinem Konflikt zwischen den beiden Jungen führt, keinen Plot Point darstellt, aber dennoch einen Moment, der sich wichtig anfühlt. Maik regiert im Off-Kommentar sinngemäß so: „Einen Moment dachte ich darüber nach, auch schwul zu werden. Das hätte Alles so viel einfacher gemacht. Aber ich mochte Mädchen doch zu sehr.“ Süß, aber authentisch und ungezwungen. Wie dieser ganze Film.
Tschick
Länge: 94 Minuten
Regie: Fatih Akin
DarstellerInnen: Anand Batbileg, Tristan Göbel und Nicole Mercedes Müller
Kinostart am 15.09.16