Panikherz Berliner Ensemble Benjamin von Stuckrad-Barre
Dreimal Benjamin auf der Bühne: Carina Zichner, Laurence Rupp, Bettina Hoppe. Der vierte Stuckrad-Barre-Darsteller, Nico Holonics, ist nicht auf dem Bild. War aber sehr gut. © Julian Röder

Review: Panikherz – Die Rache des Rauschs

Auf der Bühne steht eine Bar. Die Bar ist bei diesem Stück so zwingend wie Scheinwerfer. Und Sitzplätze. Es geht schließlich um Benjamin von Stuckrad-Barre. Eine goldene Statue von Udo Lindenberg hätte noch gepasst. Oder eine Mini-Suchtklinik. Intendant Oliver Reese hat bei „Panikherz“ im Berliner Ensemble auf beides verzichtet, aber ’ne Bar als Requisite: muss sein.

Sie ist eine Metapher, die Bar. Sie ist Ende und Anfang zugleich. Der Punkt, von dem alles, was – im doppelten Sinn – davor passiert, zeitlich wie räumlich, ausgeht und auf den irgendwann alles hinausläuft. Die Bar ist ein Altar. Darauf hat sich einer geopfert. Für alle, die normal leben, über die man kein Buch schreibt oder ein Theaterstück. Deren Leben nicht in Büchern stattfindet sondern in Leitz-Ordnern. Für die, die ins Theater gehen, um zu sehen, wie einer lebt, der gelebt hat. Mit einem Wort – und kein Stempel kann böser sein: für die „Zuschauer“. Stuckrad-Barre, das ist klar, ist kein Zuschauer. Er ist der Hauptdarsteller. Und das ist bei einem Autor nicht selbstverständlich. Aber wenn jemand mit 41 seine Autobiografie schreibt, muss er gelebt haben. „Panikherz“, das Buch: 2016 wochenlang auf den Bestsellerlisten. 500 Seiten Ego- und Suchttrip, Oliver Reese hat ihn auf 40 Seiten eingedampft.

It’s all about the Benjamins

Vier Schauspieler, fünf Musiker. Dabei geht es nur um einen Mann. Die Inszenierung passt also zur Pop-Literatur, die immer auch ein Tanz um und mit sich selbst ist – oder war. Denn man könnte auf die Idee kommen, dass diese Inszenierung der letzte Akt ist jener Gattung, deren Gesicht Stuckrad-Barre war. „Panikherz“ funktioniert auf der Bühne. Ob man das Buch gelesen hat oder nicht. Es ist ja beides, Stück und Buch. Gespielte Prosa. Ein Hörbuch für Auge und Ohren, oder mit einem Wort: Theater.

Panikherz Berliner Ensemble Stuckrad-Barre
Original oder Fälschung? Wer will, kann ja mal anrufen. – Foto: © Felix Frerichs / [030]

Perfekt inszenierte Selbstzerstörung. Musik spielt auch eine Rolle, vor allem die von Udo Lindenberg, den Stuckrad-Barre verehrt und – etwas irritierend –  als seinen Erlöser präsentiert. Wenn jemand von Udo Lindenberg erlöst werden muss, sagt das eben auch viel über den Erlösten. Es muss schlimm gewesen sein, dieses Leben von Stuckrad-Barre. Zum Glück hat er es überlebt – und aufgeschrieben. Oliver Reese hat ein Stück draus gemacht. Aus der Provinz nach Berlin, Aufstieg als Autor, Absturz, Rückfälle. Rausch als Selbstzweck. Konzerte, Interviews, Clubs, Koks. Das Leben eines Rockstars mit Notizbuch. Eine Selbst-Inventur, eine Zwischenbilanz. „Mit Ende 30 ist die Messe gelesen, der Fall klar, die Roullette-Kugel eingerastet“, sagt einer der vier Bühnen-Benjamins. Welcher das war, das hat man schnell vergessen. Es fliegen Visitenkarten ins Publikum, vermutlich echte von Stuckrad-Barre. Koks (bzw. Mehl) fliegt in weißen Wolken über die Bühne, dazu Nikotinschwaden echter Zigaretten. Die vier Benjamins auf der Bühne: zwei Frauen, zwei Männer. Carina Zichner, Laurence Rupp, Bettina Hoppe und Nico Holonics verkörpern Stuckrad-Barre in den verschiedenen Lebensphasen.  Zum Leben erweckte Erinnerungen. Sie reden miteinander, durcheinander, singen. Die schönste Stimme hat Carina Zichner. Es irritiert, Stuckrad-Barre von so verschiedenen Darstellern beider Geschlechter gespielt zu sehen, aber dadurch bekommt jeder Lebensabschnitt, jeder Stuckrad-Barre also, eine ganz eigene Kontur und Tiefe.

From Stuckrad-Barre with Love

Der Schauplatz ist die Lobby eines Hotels, das berühmte Chateau Marmont am Sunset Boulevard in Los Angeles, Kalifornien. Hier hat Stuckrad-Barre „Panikherz“ geschrieben, es ist der Ausgangspunkt seiner Lebensgeschichte. Wenn man seinem Instagram-Profil glauben kann, hält er sich auch jetzt noch da auf. Nach zwei Stunden mit Udo-Ohrwürmern, Entzugskliniken und Essstörungen und um einige Drogenerfahrungen reicher (als Zuschauer), finde ich zwei Visitenkarten auf dem Fußboden. Von Stuckrad-Barre, als er bei der taz und beim Rolling Stone war. Die taz-Visitenkarte poste ich auf Instagram. Ein paar Sekunden später klickt jemand „Gefällt mir“. Der Like ist von: Benjamin von Stuckrad-Barre. Hat sich gelohnt. Hab alles erreicht.

Die nächsten Vorstellungen sind am:
28.2., 8.3. und 9.3.
jeweils ab 19.30 Uhr

Foto: © Julian Röder

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