Seit spätestens einem Jahrzehnt gehört Emicida als Sprachrohr der Armenviertel Lateinamerikas zu den bekanntesten Rappern Brasiliens. Am 22. Juli kommt er mit seinem auf Befreiung abzielenden Rap ins Bi Nuu.
Gewalt, Armut und Perspektivlosigkeit: Der Alltag für die Bewohner der Randbezirke in der brasilianischen 20-Millionenmetropole São Paulo ist hart, doch nicht stimmlos. Ende der 1980er Jahre erhält die Kritik an den prekären Verhältnissen mit der aufkeimenden HipHop-Bewegung und ihren MCs endlich ein Sprachrohr. Orientiert sich das Ganze zunächst an amerikanischen Vorbildern, entstehen in den Favelas von São Paulo und Rio de Janeiro schell regionale Eigenheiten im Gebrauch mit der portugiesischen Sprache sowie Verbindungen zum traditionellen Samba. Bis heute verleihen sie dem brasilianischen Rap im globalisierten HipHop-Geschehen einen eigenen Anstrich und machen ihn neben dem schnellen Baile-Funk zum beliebteste Musikstil des Landes. Eine Entwicklung, die Emicida als eine der bedeutendsten Stimmen für identitätsstiftenden Ausdruck und Rebellion gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse entscheidend geprägt hat. Grund genug, sich den Mann näher anzusehen.
„Fickt eure Gesetze!“
Emicida (bürgerlich Leandro Roque de Oliveira) wird 1985 im Norden São Paulos unter armen Verhältnissen als Kind von Aktivisten, die regelmäßig Blockpartys veranstalteten, geboren. Bereits 1990 fängt er mit dem Musikmachen an und erwirbt sich später durch HipHop-Battles im brasilianischen Underground einen großen Namen. Bald schon kennt jeder den talentierten MC mit den schnellen, improvisierten Rhymes, der den Finger tief in die Wunden der brasilianischen Gesellschaft und ihre Geschichte legt. Bestes Beispiel: „Dedo na Ferida“ von 2013, auf dem er die Kluft zwischen den Armen und Reichen behandelt und im Refrain so viel wie „Fickt euch und eure Gesetze“ proklamiert. Das Video dazu zeigt Fernsehbilder von Polizisten, die mit Tränengas und Schlagstöcken ein Stadtviertel räumen. Persönliche Geschichten aus dem traurigen Alltag der Armutsviertel, gespickt mit der universellen Forderung nach neuen Formen des Zusammenlebens.
Was bleibt, ist die Hoffnung
Um dieser Botschaft größtmöglichen Ausdruck zu verleihen, hat Emicida das Sining bei einer Plattenfirma bis heute strikt abgelehnt. Stattdessen betreibt der Brasilianer mit einigen Freunden und seinem Bruder das Label Laboratório Fantasma im Norden von São Paulo, um seine Musik selbst zu vertreiben. Über 70.000 Alben hat er so verkauft und dank des Internets findet seine Musik auch weit darüber hinaus ein Publikum, das ihn für seinen Mix aus US-Westcoast-HipHop, Samba- und Reggae-Elementen, eingängigen Hooks und politischen Texten feiert. Zuletzt stellte er seine Scharfzüngigkeit auf dem 2016er Album „About Kids, Hips, Nightmares and Homework …“ unter Beweis, das in Europa inklusive Booklet mit der englischen Fassung seiner Texte erhältlich ist. Darauf ruft er nicht nur zur Befreiung der Afrobrasilianer, sondern aller Marginalisierten auf. Es scheint also: Auch wenn die Reformen im Land ausbleiben, Emicidas Hoffnung tut es nie.
Emicida live – präsentiert von [030]
SA 22. Juli, 21 Uhr, Bi Nuu
Foto: © Jose de Holanda