Viele Filme haben das Grauen der Konzentrationslager bereits behandelt, doch nur wenige sind so eindringlich inszeniert wie das Regiedebüt des Ungarn László Nemes, das Ende Februar einen Oscar als bestes fremdsprachiges Werk einheimsen konnte. Erzählt wird darin von einem Auschwitz-Insassen, der eine wahnwitzige Odyssee durch das KZ unternimmt, um moralische Erlösung zu erlangen.
Ausschwitz-Birkenau im Oktober 1944: Der ungarische Gefangene Saul Ausländer (Géza Röhrig) gehört dem sogenannten Sonderkommando an und muss, zusammen mit anderen ausgewählten jüdischen Häftlingen, Deportierte für die Gaskammern vorbereiten und ihre Leichen anschließend verbrennen. Eine grauenvolle Aufgabe, an der sich die Nazis nicht die Finger schmutzig machen wollen. Eines Tages wird Saul auf einen toten Jungen aufmerksam, bei dem es sich – so versichert er einem Arzt – um seinen Sohn handelt. Ein Wendepunkt im eintönigen Lageralltag, denn von nun an setzt er alles daran, unter den Gefangenen einen Rabbi aufzutreiben, um für das Kind ein angemessenes Begräbnis zu organisieren. Sauls Kameraden im Sonderkommando haben für seine Suche nur wenig Verständnis, da sie ausgerechnet jetzt einen Aufstand planen.
[030] im Interview mit “Son of Saul“ – Regisseur Lázló Nemes hier klicken!
Darf bzw. kann man den unvorstellbaren KZ-Horror in filmische Bilder übertragen? Diese Frage schwebt auch über „Son of Saul“, der sicherlich Anlass für kontroverse Diskussionen bietet. Gleichwohl muss man den Hut vor László Nemes ziehen, der das Grauen von Auschwitz auf markerschütternde Weise erfahrbar macht, ohne dabei das Leid der Opfer auszubeuten. Als Zuschauer ist man von Anfang an zurückgeworfen auf die eingeschränkte Perspektive der Hauptfigur und ein fast quadratisches Bildformat, das die beklemmende Lagersituation treffend spiegelt. Die Kamera klebt förmlich am Rücken des Protagonisten oder aber fängt ihn frontal aus nächster Nähe ein, sodass die Umgebung nur schemenhaft erkennbar ist. Nass-dreckige Innenräume stechen ins Auge. Nackte Leichen sind am Bildrand auszumachen. Und deutsche Soldaten tauchen nur ganz selten aus dem Unschärfebereich auf. Trotz dieser ausschnitthaften Wiedergabe geht das Drama tief unter die Haut, was nicht zuletzt an seiner intensiven akustischen Gestaltung liegt. Befehle, Erniedrigungen, Getuschel, Schreie und Schritte dringen fortlaufend auf das Publikum ein und lassen im Kopf ein Höllenszenario entstehen, das keine expliziten Darstellungen braucht.
Sauls Mission erscheint nicht nur aufgrund der rastlosen Kameraführung geradezu obsessiv. Auch im Spiel von Géza Röhrig wird die Getriebenheit seiner Figur mehr als deutlich. Inmitten eines grausamen Vernichtungsapparates sucht der Gefangene verzweifelt nach etwas Sinn und will sich seine Menschlichkeit bewahren. Eben dieser nur zu verständliche Wunsch reißt den Betrachter mit und lässt den Film noch länger nachwirken.
Son of Saul (Saul Fia)
Länge: 107 Min.
Regie: Lázló Nemes
DarstellerInnen:
Marcin Czarnik, Géza Röhrig, Levente Molnár
Urs Rechn, Todd Charmont, Jerzy Walczak
Ab 10. März im Kino.