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Warum Simone de Beauvoir immer noch recht hat!

„Ich habe lange gezögert, ein Buch über die Frau zu schreiben. Das ist ein Reizthema, besonders für Frauen, und es ist nicht neu. In der Debatte über den Feminismus ist genug Tinte geflossen. Jetzt ist sie nahezu abgeschlossen: Reden wir nicht mehr darüber. […]“ – Beauvoirs Einleitung in Das andere Geschlecht

Folgendermaßen äußerte sich Simone de Beauvoir im Vorwort zu „Das andere Geschlecht“. Das andere Geschlecht wurde 1949 veröffentlicht: 5 Jahre nachdem die Französinnen das Wahlrecht erlangten. Es kennzeichnet, auch noch heute,  einen Meilenstein der feministischen Literatur. Und das obwohl Simone de Beauvoir sich zu dem damaligen Veröffentlichungsdatum nicht einmal als Feministin sah. Viele Jahre später bestätigte sie in einem Interview, dass sie aus einem patriarchalen Blickwinkel schrieb; Nämlich aus dem Blickwinkel einer beruflich-erfolgreichen Frau, die dessen überzeugt war, dass Frauen Gleichberechtigung bekommen könnten, wenn sie es denn wollten.

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Simone de Beauvoir, ca. 1950

Simone de Beauvoir (1908-1986) war eine Schriftstellerin, Feministin und die weibliche Hauptvertreterin des Existentialismus aus Frankreich. Aus einem gut-bürgerlichen Pariser Haushalt stammend, wurde Beauvoir katholisch erzogen. Nach ihrem Baccalauréat (analog zum Abitur), studierte Beauvoir Mathematik und Philosophie, besuchte Literaturvorlesungen und strebte an Gymnasiallehrerin zu werden. Mit 21 begegnete Beauvoir dem 3 Jahre älteren Jean-Paul Sartre. Beide waren an Philosophie interessiert, wären am liebsten Schriftsteller geworden und es etabilierte sich eine liebevolle zwischenmenschliche Beziehung. Es kam der berühmte „Liebespakt“ zustande, in dem beide einverstanden waren Erfahrungen außerhalb ihrer Zweisamkeit zu sammeln, während ihre Beziehung stets im Vordergrund bleiben und auf Ehrlichkeit basierte. Dieser Pakt blieb bis zu Sartres Tod in 1980 erhalten.

Dem Sartre-Beauvoir-Verhältnis wird oft nachgesagt, dass Beauvoir die Schülerin, die Geliebte, die Heraufblickende zu „Sartres Genie“ gewesen sein soll – hätten diese Chauvi-Schweine gern. Beauvoir war nie verheiratet (obwohl sie Anträge erhielt), bekam nie Kinder und widmete ihr Leben der Philosophie, Bildung und dem Reisen. Um ihr Nachlass zu regeln, adoptiere Beauvoir in 1980 die Philosophieprofessorin Sylvie Le Bon. Simone de Beauvoir ist das Ebenbild einer emanzipierten Frau ihrer (und noch unserer) Zeit.

Beauvoir veröffentlichte die existentialistischen Romane Sie kam und blieb (1943) und Das Blut der anderen (1945), bevor sie vier Jahre später – als bereits etabilierte Schriftstellerin – mit Das andere Geschlecht an die Öffentlichkeit trat.

Der französische Existenzialismus

De Beauvoir, J.-P. Sartre, Albert Camus und Gabriel Marcel waren sozusagen das Existentiellen-Quartett Frankreichs. Kurzer Philosophie-Exkurs: Der Existentialismus, im Sinne Jean Paul Sartres und nach der rohsten Auffassung, verurteilt das Individuum zur allgemeinen Freiheit. Nur das Individuum selbst kein Gott, kein König, kein Richter muss über dessen Handeln und Denken entscheiden und dieses verantworten. Und in einer abstrakten Sichtweise ist diese Freiheit auch vorhanden – Beauvoir brachte dann das Konzept „Macht“ in Sartres Auffassung. Zwar ist jeder Mensch frei, so besitzt er oftmals jedoch nicht die Macht, so zu handeln und zu denken wie er es gerne würde.

„Wer zögert, wer bereut, erkennt Richter über sich an, ist also bereit, schuldig zu sein, anstatt sich als freier Urheber seiner Handlungen zu behaupten.“ – Simone de Beauvoir

Sisyphos.

Eins der konkretesten Beispiele des Existentialismus enstammt Camus‘ Der Mythos des Sisyphos. Sisyphos wird in der Verdammnis dazu verurteilt, einen riesigen Felsen einen Berg hochzurollen, der, sobald an der Spitze angekommen, erneut runterfällt. Sisyphos muss also, für den Rest seiner Verdammnis versuchen, etwas zu Unerfüllbares zu erfüllen. Diese unausweichliche Strafe akzeptiert Sisyphos jedoch nicht nur, sondern er verlacht gar die strafenden Götter: Der Stein, der Berg und die Unerfüllbarkeit sind sein absurdes Schicksal, dessen ist er sich bewusst. Er nimmt es einfach nur widerstandslos an.

Das bekannteste Zitat De Beauvoirs zur Unfreiheit der Frau, und somit passend zum Existentzialismus, „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“ stammt aus Das andere Geschlecht. Es ist nicht nur das bekannteste, sondern zeitgleich jenes, das am öftesten umformuliert und -diskutiert wird. Dieser existentialistische Blick, den Beauvoir auf „die“ Frau wirft, trifft auf die Feststellung, dass eine weibliche Essenz (philosophisch für „Wesen“) nicht existiert; sondern durch biologische, physische und ökonomische Umstände zum „anderen“ gemacht wurde. Die Frau ist, nach Beauvoir, zur Immanenz durch eben diese Zuordnung veruteilt. 

Das „andere“ Geschlecht?

Um zu verstehen, was de Beauvoir uns hinterlassen hat, müssen wir tiefgehender auf DAS feministische Werk der zweiten feministischen Welle eingehen. Dafür muss man sich zunächst mit der Terminologie de Beauvoirs auseinandersetzen. Was wir in dem vorherigen Absatz bereits angeschnitten haben, wird hier nun ausgeführt. Was bedeutet das überhaupt: Die Frau ist zur Immanenz verurteilt? Wie bereits etabiliert, wurde die Frau durch den Mann zum „anderen Geschlecht“ gemacht und dass die Unterdrückung von Frauen gesellschaftlich bedingt sei. Durch diese Abstufung zum „anderen“ wird eine Struktur offengelegt: Der Mann, als das Essentielle, also als Subjekt, besitzt die Macht die Frau zum ‚Inessentiellen‘, also zum Objekt zu erklären.

Das ist das sogenannte Subjekt-Objekt-Problem. Der Mann macht sich selbst zum Subjekt, denn er herrscht, gestaltet und dominiert die Verhältnisse und die Welt, die ihn umgibt. Die Frau hingegen erliegt ihrer Bestimmung, sich selbst und ihre Träume zum Zwecke ihres Ehemannes und Familie aufzugeben: Also ein Objekt zu werden. Die Macht des Mannes manifestiert sich zudem in der assozierten Abhängigkeit der Frau vom Mann er schafft und arbeitet alleine, während die Frau seine Kinder gebärt. Diese Immanenz, zu der die Gesellschaft die Frau verurteilt, ist ihre passive Weiblichkeit. Sie kennt ihren Platz und bewegt sich nicht aus der passiven „Weiblichkeit“ und der Erwartung, eine gute, katholische Hausfrau zu werden, heraus. De Beauvoir vertritt jedoch nicht die These, dass Geschlechter abgeschafft werden sollten (wie es ihr oft nachgesagt wird). Sie fordert die Emanzipierung, gleichzeitig bewusste Existenz und eine wirtschaftlich- und gesellschaftlich-unabhängige Frau.

„Frauen, ihr verdankt ihr alles!“ -Elisabeth Badinter

 

Beauvoir analysiert die komplexe Situation der Frau: In Das andere Geschlecht wurde das erste Mal das biologische Geschlecht von der kulturellen und sozialen Prägung abgetrennt und einzeln betrachtet. Sowie hinterfragt. Es wird erforscht, wie die sozialen Faktoren, einheitlich mit den wirtschaftlichen Umständen, die Frau in ihre Situation drängen. Das andere Geschlecht ist eine äußerst genaue Studie des weiblichen Geschlechts in unterschiedlichen Lebensstadien – eingeteilt in Biologie, Gelebtes, Geschichte und Mythos. Das Aufwerfen von Tabuthemen, wie weiblicher Sexualität, Abtreibung, Prostitution und Homosexualität, machte erst Das andere Geschlecht diskursfähig. Ebenso erkannte es genau, wo die Frau zum Opfer des Patriarchats wird – und dort, wo sie sich ihrer Opferrolle bereitwillig hingibt.

 

Und heute?

Simone de Beauvoir hat unzweifelbar Spuren hinterlassen. Zuerst auf die Frauen der damaligen Zeit, dann auf die daraufhinfolgenden und jetzt auf uns. Nach der Erscheinung wurde es einige Jahre kaum rezipiert: Erst mit dem Aufkommen der US-Frauenbewegung, die „Das andere Geschlechte“ für sich entdeckten, erschien es auch in Europa in einem neuen Glanz. Und sie wird es weiterhin tun. Die, bereits damals schon ausgekauten Themen zur Gleichberechtigung, sind heute noch hochaktuell.

Wem der Einblick Lust auf Simone de Beauvoir gemacht hat, sollte reinlesen. Wem die philosophischen Aspekte zugesagt haben, der sollte mit dem Roman „Sie kam und blieb“ einsteigen. Viele Dialoge und existenziallistische Fragen. Zum Existentialismus an sich behandelt Beauvoir in „Soll man de Sade verbennen? Drei Essays zur Moral des Existenzialismus“ und bietet deutlich verständlichere und anschaulichere Einblicke in Sartres existentialistische Ideen. Und wem das Hauptthema dieses Artikels zugesagt hat, kann „Das andere Geschlecht“ erforschen und sich mit dem Wissen bereichern. Dass das Thema „Unterdrückung der Frauen“ offensichtlich nicht nur Frauen beschäftigen sollte, muss nicht erwähnt werden.

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