Patrice, Life is Blood, Quazi King
Fotocredit: 'Quazi' King

Patrice: »Bitte sofort aufhören, aufzunehmen!«

Man konnte schon neidisch werden. Von Anfang an galt Patrice nicht nur als talentierter Songwriter und Musiker, er war auch immer schon einer der selbstbewusstesten und gleichzeitig freundlichsten im Geschäft, bereits mit Anfang 20 ein Mensch, der in sich zu ruhen schien.

Jetzt, 15 Jahre nach seiner ersten Platte „Ancient Spirit“, ist er noch immer dieser Junge, vor allem, weil er kein bisschen gealtert zu sein scheint. Wenn, dann ist er nur reifer geworden – und experimentierfreudiger. Das neue Album „Life's Blood“ zeigt nämlich neben einem Wachstum an Tiefe, innerem Frieden und musikalischem Können, auch enorm viel Spaß am Herumprobieren.

Wenn du zurückblickst – wie war deine Einstellung zu dir und deiner Karriere am Anfang? Du hast dir ja schon damals ganz unbescheiden den Starbassisten Pino Pallandino ins Studio geholt.

Ich nehme die Zeit gar nicht so wahr, weil ich einfach mache und nur ab und an einmal stehen bleibe und zurückblicke: „Ja, stimmt. Es ist schon so lange her.“ Und meine Einstellung … es gab nie eine Alternative: Ich wollte immer das Beste, das möglich war für meine Alben. Erst hatte ich den Drang, Lieder zu schreiben. Ich dachte nicht von mir, dass ich ein Sänger bin, aber ich habe sie erst einmal festgehalten. Dann kam das Produzieren. Weil es sonst nicht meine Vision gewesen wäre – also habe ich mich da reingefuchst. Deswegen bin ich auch mit Pino ins Studio, und mit Russell Elevado, der D'Angelo gemacht hat, ins Electric Ladyland zum Mischen. Ich habe nie einen Kompromiss gemacht. So zog sich das durch. Ich mache jetzt Regie bei meinen Videos, auch wieder, weil ich dachte, das geht irgendwie besser. Es gibt immer etwas, das fehlt.

Wie es scheint, hast du nie die Angst gehabt, dass du damit scheitern könntest …

Ich habe nie aus Zweifel oder Angst eine Entscheidung gefällt. Das mache ich auch nach wie vor nicht. Entweder es läuft so richtig, richtig gut – wie mittlerweile, oder es läuft gut. (lacht)

Du musst doch irgendwann einen Rückschlag gehabt haben?

Die Kunst ist, darin nicht Rückschläge zu sehen, sondern Zeichen, dass das nicht sein soll. Außerdem versteckt sich darin immer eine Chance.

Zum Beispiel?

Im Umgang mit den Plattenfirmen. Zum zweiten Album wurden mir ja Faxe geschickt, ich soll bitte aufhören, aufzunehmen! Ich habe einen Kredit aufgenommen, mein Manager auch – und wir sind nach Jamaika ausgewandert. Die hatten mich auf Eis gelegt, weil ich vorher ein Blues-Album aufgenommen und da das komplette Geld der Plattenfirma verbrannt habe. Deren Reaktion: „Nach ,Acient Spirit' ein Blues Album? Was?!“ Da wurde mir freigestellt zu gehen, wenn ich wollte. Ich sagte aber, ich will noch gerne ein Album machen. Da waren die auch wieder verwirrt. „Was ist das jetzt für eine Antwort?“ Und dann bin ich eben nach Jamaika, und habe da mit Pino und allen aufgenommen. Da kamen dann die Faxe: „Bitte sofort aufhören, aufzunehmen!“ Haben wir alles ignoriert. Dann waren ja auch ein paar Lieder auf „How Do You Call It?“, auf die sich zum Glück alle einigen konnten.

Wie kam es dazu, mit Diplo auf der neuen Single „Burning Bridges“ zusammenzuarbeiten?

Die Picard Brothers, ein Produzententeam auf Diplos Label Mad Decent, helfen bei vielen Produktionen – auch bei Major Lazer. Und ich finde das, was Major Lazer machen, sehr interessant, weil sie es schaffen, modernen und kreativen Reggae zu produzieren. Wie zum Beispiel „Get Free“, das ist eine Übernummer, die es geschafft hat, das Genre wieder relevant für den Mainstream zu machen, ohne dass sie die Essenz oder den Spirit bricht. Und die Freundin von einem der Brüder ist auf meinem Label – so haben wir zusammen einfach ein paar Sachen gemacht, und geschaut, was dabei rumkommt. Am Ende wurde es „Burning Bridges“ und das haben wir nochmal in diese Runde geschickt und jeder hat Hand angelegt – und alle fanden es gut.

Man hört auf dem Album vieles, was man nicht erwarten würde. Der Disco-Funk-Track „Love Your Love“ fällt regelrecht raus. Klingt, als hättest du dich noch mehr fallen gelassen als sonst.

Auf jeden Fall. Ich fuchse mich ja auch noch tiefer ins Produzieren hinein. Es gibt so viele interessante und kreative Sachen, auch in der elektronischen Musik, zum Beispiel Flying Lotus. Ich finde das extrem krass, was da passiert und was möglich ist. Das ist wie Jazz. Und total relevant für die Musik, die ich mache. Es öffnet neue Türen. Das kann ich mit mir vereinbaren, das ist wie Livemusik – aber anders.

Hast du dich am Ende der Produktion gefragt, ob du das so machen kannst, wie du es gemacht hast? Das geht einige Schritte weiter als das, was man von dir erwartet.

(lacht) Ich mache einfach. Ich mache die Musik, die ich auch hören möchte. Ich höre auch nicht mehr dieselben Sachen wie zu Anfang. Ich mag die noch, aber es erweitert sich. Zum Beispiel: Vor drei Tagen haben wir hier (in Berlin, Anm. d. Red.) das neue Video gedreht und das war witzig: Ich saß am Klavier, habe gespielt. Alles, was ich trug, war weiß – und das in so einer krassen Halle. Meine Assistentin meinte irgendwann: „Ich weiß nicht, aber da ist doch überhaupt kein Patrice mehr drin. Du hast 'ne andere Frisur, Sachen an, die du sonst nie anhast, du sitzt am Piano – das ist zu viel!“ Ich würde auf so was nie kommen, ich würde einfach machen! Aber ich habe mir das anguckt und gesagt, na gut, das mit ganz in Weiß geht vielleicht wirklich nicht (lacht). Da habe ich dann ein bisschen umdisponiert, aber das war das Höchste der Gefühle.

Normalerweise heißt es also – wenn du das magst, dann ist das das Endpunkt der Geschichte? Gibt es Leute, mit denen du dich besprichst?

Freunde, klar. Einer war bei mir in Brooklyn, wo ich jetzt lebe. Er war in der Küche und machte irgendwas und kam plötzlich reingestürmt und meinte: „Ey, bei dem Lied, da musst du noch das und das machen.“ (lacht). Dann hat er etwas eingesungen. So etwas kommt dann auch auf die Platte. Sie haben einen gewissen Einfluss, auch wenn sie mich nur auf etwas hinweisen. Ich habe ja auch Partner wie „Because“, das Label in Frankreich, denen muss ich das schon vorspielen. Aber ich habe da eigentlich carte blanche, ich habe ja auch deren erfolgreichste Künstler produziert. Und alle fanden das neue Album richtig gut.

Wie ist denn die letzte Nummer „But You / Imagining“ entstanden?

(lacht) Es ist das erste Mal, dass jemand auf bestimmte Lieder so eingeht. Das Album war eigentlich fertig, aber ich habe Freunden ein paar Outtakes vorgespielt: „Das hat es nicht geschafft, das auch nicht …“ und dann kam so zurück: „Was?! Das muss rein!“ Aber ich hatte bereits vorgegeben, dass es 15 Tracks werden, man muss den Leuten im Presswerk ja sagen, wie viel aufs Album kommt. Und dieser letzte Track sind jetzt zwei Stücke gekoppelt – denn eigentlich sind es auch zwei eigene Stücke, die zwei IDs bräuchten (lacht).

Ich hatte überlegt, ob du es ganz bewusst so anlegten wolltest, wie zum Beispiel Frank Ocean bei „Pyramids“. Ein Zehn-Minuten-Epos schaffen.

(lacht) Vielleicht hat Frank Ocean das ja aus demselben Grund gemacht.

In diesem Track stachen auch einige Lyrics heraus, wie „Natural selection will take the predators out“. Wer ist das, der da spricht?

Das ist meine Schwester. Die hat einen TED-Talk gemacht, der sehr viral gegangen ist (Mallence Bart Williams: „Change Your Channel“, Anm. d. Red.). Den habe ich einfach nur gesampelt. (lacht) Sie weiß noch gar nichts vom ihrem Glück!

Interview: Christian L. Fischer

Patrice Life is Blood

Patrice "Life is Blood" erscheint am 30. September bei Supow Music / Groove Attack

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