Mit ihren ersten beiden Alben "Gladys“ und "Eureka" ging es für Leslie Clio steil bergauf: Große Festivals, TV-Shows, eine Tour mit Phoenix und singen für Oliver Koletzki. Läuft, könnte man meinen. Geht so, würde Leslie Clio wohl sagen.
Nach dem ganz großen Zirkus suchte die Wahlberlin Abstand zum Happy-Happy-Ding-Dong-Pop von "Eureka“. Clio verkaufte ihren Hausrat, haute nach Hawaii ab und fand sich offenbar neu. Ein Prozess, der das neue Album "Purple“ entscheidend geprägt hat. Wir sprachen mit der Soulpop-Musikerin über Musikindustrie-Dynamiken und Selbstfindung.
Knapp zwei Jahre ist es her, dass du mal eben für ein halbes Jahr nach Hawaii abgehauen bist. Warum dieser Tabula rasa-Moment?
Ich war total leer und erschöpft, wusste nicht weiter, bin stehengeblieben. Dann hab ich einfach alles verkauft und bin los. Wie ein Glühwürmchen bin ich durch den dunklen Jungle auf Hawaii. Total viel geweint. Nach vier Jahren Wirrwarr und nur Touren und Trennungen von Menschen habe ich mir nie die Zeit genommen, das zu reflektieren. Das kam alles wie eine geballte Faust.
Wie kam der Impuls zurück, wieder Musik zu machen?
Ich hatte das echt überhaupt nicht auf meiner Tagesliste – wollte eigentlich erst mal gar nichts mit Musik zu tun haben. Dann ist das Schöne passiert: Das ist einfach von alleine wiedergekommen. So Sachen wie „Sad Games“ und „Darkness is a Filter" habe ich einfach so beim Spazierengehen geschrieben.
Zurück im Studio in Deutschland: Wie schwer war es, nicht wieder in die Schemata der Musikindustrie zurückzufallen?
Nicht an diese Dynamik zu denken, die anfängt, wenn die Industrie hinzukommt – das war meine größte Motivation. Ich hatte diese ganzen Sprüche noch im Ohr: »Das muss radiotauglich sein: Up-Tempo und hooky, man muss mitsingen können und du musst nahbarer werden.« Und dann war ich so: »Boah, jetzt ist echt alles egal.«
Zur zweiten Platte „Eureka“ hast du heute gar keinen Bezug mehr?
Gar nicht! Ist einfach so. Die ist im April rausgekommen und im Juni dachte ich live schon »Oh Gott, was ist denn das?« Ein ganz schreckliches Gefühl. Das hat mich krank gemacht. Ich hatte wirklich ein chronisches Sodbrennen.
Was stört dich im Nachhinein?
„Eureka“ ist einfach wie eine Galerie gewesen. So ein Wischiwaschi, alles 3:30 für’s Radio. Wenn ich das jetzt höre, frage ich mich nur »Wo bin ich denn da drin?«. Ich wollte meinen Job gut machen, ich wollte was bedienen.
Wie bist du stattdessen für „Purple“ vorgegangen?
Initiativer. Persönlicher. Das bin nur ich. Die zweite Platte habe ich mit tausend Leuten gemacht, die neue alleine. Die Produktion nicht, die hab ich zu dritt gemacht, aber die Vocals und die Songs waren schon sehr definiert. Das ist einfach meine Platte. Deswegen auch Purple – für Independence.
Auffällig ist, dass du dieses Mal eine Vielzahl an Samples verwendet hast – eine collagiert Arbeitsweise, die neu für dich ist.
Ja, das war mir total wichtig. Collagiert arbeiten war mein oberster Produktionsansatz. 3.30? Fuck off, Ich mache jetzt fünf Minuten draus, nach vier Minuten einen Wechsel und kann Fetzen um Fetzen zusammennehmen.
Woher kommen diese Samples?
»This is what you wanted. I never wanted any of this« – das ist zum Beispiel von Breaking Bad. Ich hab das Nächte lang am Stück durchgeguckt – und was mit aus allen Staffeln hängengeblieben ist, ist diese Szene. In Zukunft will ich immer so arbeiten.
Heißt, du hast mit „Purple“ dein musikalisches Zuhause gefunden?
Das würd ich so sagen, ja. Mit der nächsten Platte werde ich jetzt nicht noch mal ein neues Fass aufmachen, sondern in der Richtung bleiben.
Leslie Clio – „Purple“ erschien am 15.5.17 bei Embassy of Music (Warner)
Titelfoto: © Gerhard Kuehne