Kasimir, Gardinen, Mode, 030, Berlin

96 Teile, 1 Thema: Bei der neuen Kollektion des Berliner Ökorecyclemade-Labels Kasimir dreht sich alles um das Fenster. Die Designerin, Einkäuferin und Produzentin Sabrina Schweizer spielte mit dem Motiv, stilisierte und abstrahierte es und nutzte es als Inspiration für außergewöhnliche Kleidungsstücke. Wir haben einen Blick riskiert.

Friedrichshain. Die Sonne scheint und Sabrina und Sarah Schweizer sind etwas spät dran. Die beiden Schwestern tragen eine große Stoffrolle unterm Arm, lächeln freundlich und winken mir von Weitem zu. Sie haben mich in ihre Wohnung/Atelier/Fotostudio/Lagerraum eingeladen, damit wir ein bisschen über die neue Kollektion ihres Labels Kasimir quatschen können. Ich muss zugeben, dass am Anfang alles ein bisschen improvisiert auf mich wirkt: Stoffe werden unterm Hochbett der Designerin gelagert, die fertigen Kreationen hängen, dicht an dicht und in Plastiktüten verpackt, auf Kleiderstangen in der Ecke des Schlafzimmers. Doch der erste Eindruck täuscht: Sabrina und Sarah sind sehr strukturiert und professionell. Sie führen detaillierte Listen über alle Ausgaben und Einnahmen und haben einen Plan für die Zukunft. Ihnen fehlt eben einfach noch das nötige Kleingeld für ein fancy Atelier. Jeden Cent, den sie verdienen, investieren sie in hochwertige Produkt- und Kollektionsfotos. Und natürlich in Stoffe. 

Kasimir, Gardinen, Mode, 030, Berlin

Thema der Kollektionsfotos „Zwei Mädchen warten auf den Frühling.“

Alt trifft neu

Bei Biolimo und Pfefferchips erzählen sie mir, dass sie gerade wieder auf Stoffjagd waren — und zwar ziemlich erfolgreich. Statt in klassischen Stoffläden finden sie ihre Schätze hauptsächlich auf Flohmärkten und in Second Hand-Geschäften, wie beispielsweise in Schöneberg beim „Wächter der Stoffe“, einem alten, grummeligen Mann mit Bart. Ein Großteil haben sie beispielsweise bei der Auflösung eines Vorhanggeschäfts ergattert. Vorhang? Richtig gelesen. Sie haben sich auf Gardinen und Tischdecken spezialisiert. Warum? Zum einen, weil Nachhaltigkeit das Hauptthema bei Kasimir ist. Außerdem hat der Gedanke, einem alten Stoff neues Leben einzuhauchen, auch etwas Faszinierendes, fast schon Romantisches. Es geht darum, Kleidung mehr Bedeutung zu geben, sie wieder mehr zu schätzen. Deswegen wollen sie auch individuelle Lieblingsstücke kreieren und nicht austauschbare Billigklamotten. Sie wollen dazu animieren, dass man nicht wahllos, sondern bewusst Kleidung kauft. Sie wollen der extremen Konsumgesellschaft entgegenwirken. Gleichzeitig sind sie aber auch nur Menschen und geben zu, dass sie selbst auch ab und zu mal etwas kaufen, dass nicht zu 100% nachhaltig produziert wurde. Manchmal verliebt man sich eben einfach in die äußeren Werte ein Kleidungsstücks.

Kasimir, Gardinen, Mode, 030, Berlin

„Wir sind ja auch keine totalen Ökotanten, die sich aufs Land abschotten.“

Neben alten Gardinen verwendet die Designerin Sabrina auch GOTS-zertifizierte Stoffe — vor allem für die Futterstoffe, also für alles, was direkt auf der Haut ist. Sie kauft oft im Biostoffladen Siebenblau ein, erzählt mir aber auch, dass es (momentan) nicht möglich ist, nur natürliche Stoffe zu benutzen. Abgesehen vom Preis ist es beispielsweise auch schwer, elastische Bündchen ohne Elasthan zu bekommen. Außerdem sind die Vorhänge natürlich auch oft aus Polyester. Und auch die bereits erwähnten Hüllen, die die fertigen Kreationen schützen, sind aus Plastik. Es lässt sich eben nicht ganz vermeiden. Dafür sind die Labelanhänger dann wieder aus recyceltem Papier oder Holz. Es sind die kleinen Dinge, die den Unterschied machen. So beispielsweise auch bei den Größenangaben. Statt S/36 findet man auf ihren Etiketten Punkte, die für Kategorien stehen. Es gibt drei verschiedene Größen: 36, 40-44 und 48. Damit wollen sie ein Zeichen setzen. Schließlich gibt es viel zu viele Frauen, die denken, sie sind zu dick, nur weil sie nicht in eine 36 bei Zara reinpassen. Dass die Kleider aber oft einfach viel zu eng geschnitten sind, ist ihnen gar nicht bewusst.

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Vorteil Familienunternehmen

Auch wenn es manchmal knallt — kein Wunder, wenn man zusammen wohnt und arbeitet — sind Sarah und Sabrina sehr froh sich zu haben. Denn Meinungsverschiedenheiten halten sie nicht auf, sondern treiben sie voran. Die beiden Schwestern sind ehrlich zueinander und können sich immer aufeinander verlassen. Müssen sie auch, denn jede hat ihren eigenen Verantwortungsbereich: Sarah studiert Kommunikationsdesign und ist leidenschaftliche Hobby-Fotografin. Bei Kasimir hat sie die Möglichkeit, sich kreativ auszutoben. Sie hat das Logo entworfen und macht die Produkt- und Kollektionsfotos. Sabrina ist eigentlich nach Berlin gekommen, um Chemie zu studieren, hat dann aber sehr schnell gemerkt, dass das nichts für sie ist. Also hat sie das Nähen bei Esther Perbandt gelernt und anschließend ihren Bachelor an der HTW gemacht. Eigentlich wollte sie ihr Pflichtpraktikum bei einer bekannten Designerin machen, hat sich dann aber dagegen entschieden, weil dies unbezahlt gewesen wäre. Das ist etwas, das sie nicht unterstützen wollte, denn ihr ist es wichtig, dass der Wert der Arbeit geschätzt wird. So kam es dann letztendlich dazu, dass sie beschloss, ihr eigenes Label zu gründen. Das sollte übrigens erst Ledört (Trödel rückwärts) heißen, erzählen mir die Mädel und lachen. Das fanden sie dann aber doch zu hippie-alternativ-ich-tanz-meinen-namen-mäßig — zum Glück! Und dann hatten sie, mehr oder weniger zufällig, die Idee: Kasimir. Das hört sich doch mal viel besser an! Ein bisschen erinnert es auch an Kaschmir — eine kleine Anspielung auf die zentrale Rolle des Stoffes. Außerdem ist Kasimir auch noch der Name des russischen Opas der beiden, den sie leider nur selten gesehen haben. Womit wir wieder beim Thema Familie wären. Über die Kollektion selbst will ich an dieser Stelle gar nicht so viel schreiben, denn ich finde sie spricht für sich. Wenn euch die Kollektionsfotos gefallen, dann werft doch einfach mal einen Blick auf die Website von Kasimir. Die neue Kollektion ist ab Anfang Juni online erhältlich. Im Moment umfasst sie erst mal nur Kleidung für Frauen. Die Nachfrage von Männern sehr allerdings sehr hoch, also wäre eine zweite Linie in Zukunft auf jeden Fall denkbar.

Mehr Infos:

www.kasimir-berlin.com

Text: Maike Bartsch