Der Musiker, Komponist, Dichter und Filmemacher Karl Bartos
Foto: © Marie Weikopf

Karl Bartos: »Jeder verhält sich wie eine Fernsehanstalt, wird selbst zu einem Medium und berichtet über sich«

Waren Sie eigentlich in der Fotoausstellung, der Retrospektive von Anton Corbijn in Berlin?

Da hing ein Bild von mir. Das ist der Herr Karl. Anton Corbijn ist ein wirklich toller Fotograf.

Das Foto gehört zu einer Serie, die Anton Corbijn Anfang der 80er Jahre bei einem Konzert in Barcelona hinter der Bühne von den vier Kraftwerk-Puppen gemacht hat. Was haben Sie heute für eine Beziehung zu diesem ikonischen Foto?

Ich habe diese Puppen zuhause. Jetzt stehen sie bei mir im Keller, aber als ich mein zweites Solo-Album „Off the Record“ gemacht habe, wurde auch der Herr Karl wiederbelebt. Mit schwarzer Krawatte und rotem Hemd haben wir eine Fotoserie von ihm gemacht und ein Filmchen gedreht. Die Leute haben sich schon immer für Roboter interessiert. Mit der mechanischen Musik ging das ja schon ganz früh los: Französische Künstler hatten Robotermusiker hergestellt, die Flöte spielen und trommeln konnten. Mit diesen Androiden sind die durch ganz Europa getingelt. Das ist für uns Menschen toll. Wenn wir mechanische Menschen sehen, flippen wir aus. Das ist lustig und es hat aber auch etwas Beängstigendes, weil wir nicht wissen, ob die auch denken können. Sie sind zwar gehirntot, aber wenn die irgendwas tun, haben wir immer das Gefühl, die würden jetzt anfangen, intelligent zu sein. Ich glaube, da steht uns noch einiges bevor: Die werden irgendwann wirklich mit uns sprechen und lachen.

Das Foto des Herrn Karl, das das Cover Ihres zweiten Solo-Albums „Off the Record“ von 2013 ziert, benutzen Sie auch als Image für Ihre Konzerte als Projektion. Sie haben den Song „I‘m the Message“ als Ihren Corporate Identity Song bezeichnet.  Ist dieses Foto Ihr Corporate Identity Image?

Es ist nicht unbequem (lacht). Ich habe kürzlich versucht, einen Film zu drehen in einem Green Screen Room mit einem anderen Kameramann, der mich nicht so sieht wie ich mich sehe. Ich tue mich da etwas schwer, aber wenn der Herr Karl für mich dasteht, kann ich den selber filmen. Ich kann ihn drehen, schieben und irgendetwas machen lassen. So wäre Ihre Frage rein praktisch beantwortet. Philosophisch repräsentiert mich der Herr Karl als jungen Mann – das Bildnis des Dorian Grey. Er sieht ganz cool aus, ich habe eine romantische Beziehung zu ihm. Wir haben schon viel zusammen erlebt.

Karl Bartos und sein Alter Ego Herr Karl
Karl Bartos und sein Alter Ego „Herr Karl“

Metaphorisch symbolisiert das Bild des Herrn Karl für Sie die ewige Jugend?

Und damit ist man auch wieder bei der großen Kraft der Musik, die Zeit einzuschließen und zu einem anderen Zeitpunkt wiederzugeben. Das passiert bei jeder Aufnahme von Musik. Bei der Fotografie ist das ähnlich. Ich habe mal den Spruch gehört: Wenn man etwas fotografiert, dann stirbt das Leben. Bei einem Film hat man eine Kopie des Lebens. Viele Leute verwechseln das und denken, es sei live, wenn man eine musikalische Aufnahme auf einem Plattenteller abspielt. Wenn man die Bilder von Corbijn in der Ausstellung sieht, bewegen die sich ja auch nicht. Und bei einem Film kommt auch kein Mensch auf die Idee, das wäre das Leben. Ein Film ist die Imitation des Lebens. Genauso ist das auch mit der Aufnahme von Musik: Sie ist das Festhalten, ein Ausschnitt, ein Zeitfenster des Lebens.

Die Medienwelt, auf die sich „Communication“ bezieht, war 2003, als das Album das erste Mal erschienen ist, eine andere als heute. Das Web 2.0, wie wir es heute kennen, war 2003 gerade erst am Entstehen, es gab noch kein Facebook, Youtube oder Twitter.

Es gibt heute durch das Internet mehr Mittel zur Kommunikation. Im Jahr 2000 schrieben wir die ersten E-Mails. Aber hat sich unsere Kommunikation wirklich verändert? Sie fängt gerade damit an: Die Sprache und die Schrift verändern sich, aber das betrifft viel eher die junge Generation. Mich betrifft das gar nicht mehr. Aber natürlich verändern die elektronischen Medien unsere Kommunikation. Jedes neue Medium, das in eine Gesellschaft neu eingeführt wird, hat bisher unser Denken verändert. Marshall McLuhan hat das ja schon in den 50er und 60er Jahren in seinem Buch „Die Gutenberg Galaxis“ festgestellt. Das ist schon vor langer Zeit passiert mit der Einführung des Alphabets, des Buchdrucks und der Übertragung von Bildern und Nachrichten, aber was jetzt geschieht, ist die extremste Vervielfältigung dieses Gedankens.

Kart Bartos
Foto: © Jann Klee

Sie nutzen selbst die neuen Medien und posten Fotos und Nachrichten von sich auf ihrer Facebook-Künstlerseite. Was gefällt Ihnen an den sozialen Netzwerken?

Das ist schwierig. Ich habe in der letzten Zeit eher darüber nachgedacht, was mir nicht daran gefällt. Am Anfang war ich sehr begeistert davon, weil ich dachte, es ist wirklich ein Mittel zur Kommunikation. Es wird von allen dazu benutzt, um sich selbst darzustellen, um das eigene Leben zu kuratieren und um alle anderen daran teilhaben zu lassen. Jeder verhält sich so wie eine Fernsehanstalt, wird selbst zu einem Medium und berichtet über sich. Alle werden Reporter. Das ist Susan Sontag in den 80er-Jahren schon aufgefallen, als sie in ihren Essays „Über Fotografie“ gesagt hat, dass die Menschen die Fotografie und damals insbesondere die Polaroid-Fotos dazu benutzen, um festzuhalten, was sie erleben, und um es dann anderen berichten zu können. Wir nutzen die digitalen Medien natürlich auch selber und nennen uns scherzhaft die Twitter-Freaks, weil es diese wahnsinnige Vervielfältigung nach sich zieht. Und wenn man jetzt ein Produkt herstellt, dann möchte man natürlich die Vervielfältigung der Information erreichen. Was aber auch passiert, ist, dass Informationen verbreitet werden, die es gar nicht wert sind, wo man es gar nicht will, oder die geradezu kontraproduktiv sind. Also, es gibt eine gewisse journalistische Ethik, die sollte doch bitteschön auch im Internet stattfinden. Das kann doch kein öffentlicher Raum ohne Verkehrsregeln sein!
 

Karl Bartos – „Communication“ (2016) ist bei Trocadero erschienen

Karl Bartos – „Communication“ (Album Cover)

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