Sagiv Hillel ist Israeli und lebt in Berlin – Kreuzberg. Ein junger Mann, 29, Fotograf, dem man vieles nicht ansehen würde. Denn noch vor einigen Jahren war er Maschinengewehrschütze in Israel und hat einige Kriege miterlebt. Wie fühlt sich ein Soldat nach dem Krieg und wie ist sein Leben jetzt? [030] Autorin Maria hat mit Sagiv darüber gesprochen.
Warum die Entscheidung nach Israel in die Armee zu gehen?
Ich denke es ist der Überlebenssinn. Es ist eine Sache wie man es in den Nachrichten, Medien hört, eine andere Sache ist es in echt zu erleben. Mit 22 musste ich in die Armee, weil ich in Israel geboren bin. Es ist daher auch eine Verpflichtung.Vor ein paar Jahren starb meine Großmutter bei einer Bus-Explosion eines Terrorakts. Das Ereignis war so prägend und so schockierend für meine Familie, dass ich mir seitdem geschworen habe wenn ich dem israelischen Staat helfen und meinen Beitrag leisten kann, dann tue ich das. Selbst heute, wenn ich in diesem Moment einen Anruf kriegen würde, die bräuchten meine Hilfe würde ich alles hinschmeißen, ich würde meinen Job sofort kündigen und wieder nach Israel gehen.
Wie bist du mit traumatischen Erlebnissen umgegangen?
Während meiner Armeezeit habe ich nie verstanden warum ich an so einem dunklen Ort bin. Als ich auf der Straße Kinder oder Familien gesehen habe, hab ich mich nie damit verbunden gefühlt, ich habe deren Freude nie verstanden. Alles was wir durchlebt haben, hat uns so viel gekostet. Wir haben verlernt glücklich zu sein, haben verlernt richtig zu fühlen. Man kann es auch so ausdrücken alles was wir an Lebensfreude hatten wurde uns quasi ausgesaugt. Wir wurden so oft mit dem Tod konfrontiert, mit dem Tod naher Freunde, Soldaten. Direkt danach am Friedhof mit den Familienangehörigen zu stehen, ist sehr traumatisch. Im Endeffekt hat es jeder anders verarbeitet. Mal haben Witze gemacht, mal geschwiegen oder lange Gespräche gehabt. Ich erinnere mich an den Abend als wir in der Schussweite waren und das Ziel anvisiert haben, hat es fürchterlich geregnet und geblitzt. Wir waren von Kopf bis Fuß nass, bei Minusgraden. Der Abend erschien mir so endlos! Wir haben einfach angefangen zu singen weil wir wussten das wir so oder so dadurch müssen (lacht). Daher haben wir versucht das Beste daraus zu machen, ich meine wir konnten an der Situation eh nichts ändern. Man muss es halt mit gesundem Menschenverstand sehen, irgendwie lernen eine Lösung für sich zu finden. Du kannst daran wachsen, du kannst aber auch total daran kaputtgehen. Wie oft stand das Thema Suizid im Raum. Ein Freund von mir z.B kam mit dem psychischen Druck nicht klar. Es ist halt nicht nur die Psyche die leidet, auch der Körper ist einer sehr krassen Belastung ausgesetzt. Die Schwierigkeit ist, dass man trotz des dauerhaften Erschöpfungszustandes voll funktionieren muss. Ich meine wenn wir ganz ehrlich sind, hat keiner richtig Lust da zu sein. Keiner. Wenn es aber keiner macht, beziehungsweise sich keiner dafür verantwortlich fühlt dann sind die Grenzen offen, dann bringt man das eigene Land, die Kinder, womöglich die eigene Familie in Gefahr. Du hast einfach diese Verpflichtung aber du weißt wofür du das machst, für das Land und für den Frieden. Ich werd oft gefragt ob ich etwas an der Zeit bereue und ganz ehrlich ich bereue nichts davon. Auch wenn es so viel an Kraft gekostet hat.
Ist das eine schwierige Umstellung nach der Armeezeit jetzt ein „normales Leben“ zu führen?
Es ist sehr komisch ich habe jetzt einen ganz anderen Alltag. Von einem Extrem ins andere. Bis vor kurzem habe ich noch den Krieg miterlebt und jetzt sitze ich zu Hause am PC und arbeite. Hier ist es ruhig und entspannt, ich habe keine Sorgen mehr. Aber trotzdem war die Zeit prägend. Du kannst halt nicht auf Abruf glücklich sein und Spaß haben. Du kannst nicht aus der Armee raus, auf Knopfdruck deine Gefühle umsteuern wenn du jetzt mit deiner Familie im Garten Grillen möchtest. Wenn du aus der Base rauskommst dann hast du das alles noch in dir. Du bist noch voll im Modus keine Gefühle zuzulassen. Das ist eine Sache, die ich leider mit aus der Armee in in mein „normales Leben“ mitnehme.
Was ist der grundlegende Unterschied zwischen Deutschland und Israel?
Schwierig zu vergleichen. Israel ist ein sehr kleines Land, was schon sehr viel gelitten, sehr viel durchlebt hat. Die Vorstellung ist traurig aber irgendwie hat der Krieg die Menschen zusammengeschweißt, wir sind dadurch viel näher und verbundener zueinander. Die Israelis sind so dankbar für unseren Einsatz. Fremde Menschen bedanken sich bei uns, beschenken uns, laden uns zum Essen ein. Sie sind so dankbar, das ist ein schönes Gefühl. Ich denke, dass der gravierendste Unterschied ist, dass Deutschland nicht diese Art von Verbindung hat. Was aber auch gut ist, weil es ruhiger ist. Deutschland lebt nicht in einem dauerhaften Angstzustand. Israel lebt in einer „Bubble“, einer Seifenblase, in der täglich die Ängste und die Unsicherheit verdrängen. Das tun sie um normal leben zu können. Israelis haben in dem Sinne einen innigeren Draht zueinander weil es schon so viele Kriege durchlebt hat und es zur Normalität geworden ist. Mehr Leiden. Ich meine wir wissen, dass es statistisch gesehen alle ein, zwei Jahre ein Krieg geben wird und wenn es dann zu Ende ist, wissen wir auch das es kein richtiges Ende ist. Ich habe deswegen bei meinem Einsatz auch nicht richtig ein Gewinn gespürt. Ich wusste zwar, dass wir alles gegeben haben, aber es fühlte sich nicht befriedigend an. Aber was soll ́s (seufzt) das ist halt das Leben in Israel. So wie wir müssen die Israelis auch damit klarkommen.
Text: Maria Murnikov