Veränderung ist immer doof. Das sagen erstmal viele, so wie jetzt am Kottbusser Damm. Hier entsteht was Neues, eine neue junge Szene etabliert sich und verdrängt bestehendes Gewerbe. Natürlich finden das einige nicht gut. Vor allem die, die davon betroffen sind.
Viele kleine Männer
Weil der Bürger das Neue scheut wie das Fremde, setzen sich die Zeitungen gerne an die Spitze einer Bewegung – wenn es darum geht, den „kleinen Mann“ zu bewahren vor allem Neuen. Das ist schließlich sympathisch. Und der kleine Mann ist schließlich so gut wie jeder und nebenbei Leser. Und nicht zu vergessen: viele kleine Männer sind eben viele Leser. Die darf man nicht vergraulen in Zeiten des digital befeuerten Print-Sterbens. Deshalb setzt sich die „Berliner Zeitung“ mit viel Print-Eifer für die kleinen Händler am Kottbusser Damm ein, die gerade von Kündigungen ihrer Mietverträge betroffen sind. Damit haben wir grob das Problem skizziert, um das es geht. Und wir halten dagegen: Veränderung hat es immer gegeben. Aber viel schlimmer noch: Sie ist unvermeidlich. Und manchmal sogar richtig.
Nicht zu vergessen: viele kleine Männer sind eben viele Leser. Die darf man nicht vergraulen in Zeiten des digital befeuerten Print-Sterbens.
„Ein Kiez wehrt sich“
Jetzt der Kottbusser Damm. Mit Schlagzeilen wie „Ein Kiez wehrt sich“ berichtet die Berliner Zeitung über einen Menschen wie den Textilhändler, dem von seinem Vermieter gekündigt wurde. Dazu gibt die Zeitung dem Leser eine Meinung an die Hand und bescheinigt der Gegend gleich mal pauschal eine „Kiez-Kultur in Reinform“. Wie nett. Nein, ganz ohne Polemik: Es sind Existenzen betroffen, ohne Frage. Wenn ein Wandel stattfindet, leiden darunter vor allem kleine Leute. Die Vermieter sitzen im Trockenen, aber die Opfer dieser Entwicklung – die sitzen in den gekündigten Läden. Natürlich regt sich da Widerstand. Trotzdem ist es vermessen zu glauben, Veränderung lasse sich stoppen. Das Problem: Während Privatmieter durch viele Rechte geschützt sind, sind Gewerbetreibende so gut wie nicht geschützt. Ihnen darf also ohne weiteres gekündigt werden. Das Land Berlin will bis zum Sommer Maßnahmen für besseren Schutz für bestehendes Gewerbe erarbeiten.
Stadt von morgen
Warum vielen Alteingesessenen diese hippe Kneipe am Kottbusser Damm Angst macht https://t.co/hacIsEbM7S
— Berliner Zeitung (@berlinerzeitung) 27. Januar 2019
Am Wochenende war ich im Reuterkiez. Also die Gegend zwischen Landwerkanal und Hermannplatz, grob gesagt. Jedenfalls war ich spontan in dieser Gegen und war ziemlich angetan. Vom Nachtleben. Eine lebendige Gegend mit vielen kleinen Lokalen, verschiedensten Kulturen und jungen Leuten aus der ganzen Welt. Und alle waren gut drauf. Ich fand nichts Schlechtes daran. Hier gibt es all das, wofür Berlin sich nach außen rühmt. Dass hier eine lebendige Szene entstanden ist, die durchaus auch Relevanz für die Stadt und ihre (jüngeren) Bewohner hat: das sollte man bei allem Gentrifizierungs-Bashing und Katastrophisieren nicht vergessen. Hier entsteht ein neues und junges Berlin. Natürlich hat das seinen Preis. Aber aufhalten wird man den Prozess nicht. Vielleicht sollte man (als Stadt) sich fragen, wie man das Beste draus machen kann. Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen.
Foto: © Uli Herrmann/CC0