Für seine Rolle als stotternder König George VI in „King’s Speech“ wurde Colin Firth mit dem Oscar ausgezeichnet. Doch das britische Multi-Talent wird allen Rollen bestens gerecht. Ob im Drama „Der englische Patient“, den „Bridget Jones“-Komödie oder als Sänger im Abba-Film „Mamma Mia“. Nach seinem Auftritt im Action-Thriller „Kingsman“ oder dem Kriegsdrama „Die Liebe seines Lebens“, spielt Firth nun in dem Biopic „Genius – Die tausend Seiten einer Freundschaft“ den Lektor Max Perkins, der im New York der Zwanziger Jahre Schriftsteller wie Ernest Hemingway, F. Scott Fitzgerald oder Thomas Wolfe entdeckt.
Mister Firth, Sie tragen in jeder Szene des Films einen Hut – was hat es damit auf sich?
Firth: Max Perkins, den ich spiele, hat tatsächlich ständig einen Hut getragen, zumindest gibt es so gut wie keine Fotos, wo er ohne Kopfbedeckung zu sehen ist. Ich kenne lediglich ein einziges Bild, wo das nicht der Fall ist. Perkins war damals richtig berühmt für seine Hüte.
Kennen Sie den Grund für diese spezielle Vorliebe?
Firth: Ein Grund für die Hute liegt in seiner Schwerhörigkeit. Perkins wollte kein Hörgerät tragen und mit Hut waren die Töne für ihn deutlicher zu verstehen als ohne. Zudem erzählte er einmal, wie nützlich diese Kopfbedeckung sei, um unerwünschte Besucher abzuschrecken: Wer mit Hut im Büro sitze, der sei offensichtlich gerade auf dem Sprung zu gehen.
Hat sich Ihr Verhältnis zum Hut durch diese Rolle verändert?
Firth: Ich war eigentlich ziemlich froh als ich den Hut nach Drehschluss wieder absetzen konnte. (Lacht) Es ist allerdings schon bemerkenswert, wie sich die Mode verändert hat. Für die Generation meiner Großväter war es undenkbar, ohne Kopfbedeckung das Haus zu verlassen. Heute fällt man auf, wenn man einen Hut trägt.
Wie sieht die Vorbereitung aus, wenn man eine Figur spielt, die es tatsächlich gegeben hat?
Firth: Zum einen konnte ich mich hier auf die vorzügliche Buch-Vorlage von Scott Berg verlassen. Zum anderen traf ich mich mit Angehörigen der Familie von Perkins, unter anderem mit seinem Enkel Max, der eine verblüffende Ähnlichkeit mit seinem Großvater besitzt. Auffallend in all den Schilderungen über ihn war, wie schweigsam und introvertiert dieser Mensch gewesen ist – was ich mir zum Leitfaden für diese Rolle gemacht habe.
Das extrovertierte Gegenstück ist der junge, wilde Autor Thomas Wolfe, den Jude Law spielt. Ist das nicht die dankbarerer Rolle für einen Schauspieler?
Firth: Die Rolle von Tom Wolfe hätte mir sicher großen Spaß gemacht – aber danach hat mich leider niemand gefragt! (Lacht) Tatsächlich finde ich diesen Max Perkins eine großartige Rolle. Er ist ein Typ, der zuhört und nachdenkt. Er vermeidet es, selbst im Rampenlicht zu stehen – welch angenehmer Kontrast zu unserer heutigen Zeit des Exhibitionismus, wo jeder so viele Selfies wie möglich macht und sich ständig auf Twitter und Facebook präsentiert.
War früher alles besser, als es noch keine sozialen Medien gab?
Firth: Ich gehöre nicht zu jenen, die soziale Medien pauschal verurteilen. Das sind großartige Werkzeuge, die vielen Menschen ermöglichen, ihre Meinung frei zu äußeren. Es gib Blogs, die ganz wunderbar geschrieben sind oder großartige Filme, die auf Smartphones entstanden sind. Allerdings gibt es auch eine Kehrseite der Medaille: Wenn alle ihre Meinung überall äußern, gibt es niemanden mehr, der die Dinge einordnet und strukturiert. Wer die Online-Kommentare unter Zeitungsartikeln liest wird schnell feststellen, wie oft es an einem zivilisierten Umgang mangelt.
Ihr aktueller Film heißt „Genius“ – was macht ein Genie für Sie aus?
Firth: Genie ist ein abstrakter Begriff, so wie Kunst, Zeit oder Schönheit. Der Wert liegt für mich stets im Auge des Betrachter. Deswegen mag ich es nicht besonders, wenn solche Begriffe als allgemeingültig ausgerufen werden, möglichst noch in Großbuchstaben. Ich glaube nicht, dass man jemals eine verbindliche Definition dessen finden wird, was ein letztlich Genie ausmacht.
David Bowie gilt zum Beispiel allgemein als ein Genie…
Firth: Heute scheint das unbestritten. Allerdings kann ich mich noch gut daran erinnern, wie ich im Jahr 1978 als Schüler mit einem Lehrer eine große Auseinandersetzung darüber hatte. Ich nannte Bowie ein Genie und bekam als Antwort: ‚Unsinn, er ist talentiert und trägt hübsche Kostüme – aber er ist nicht genial!’. Gerade solche Kontroversen haben Bowie ja ausgemacht, der ständig mit Grenzen gespielt hat. In der kreativen Welt kann man nur ein Genie werden, wenn es zugleich eine Kontroverse darüber gibt, ob man dieses Genie tatsächlich ist.
Sie blicken auf eine enorme Karriere als Schauspieler, Oscar inklusive. Haben Sie am Anfang Ihres Berufslebens davon zu träumen gewagt?
Firth: Zu Beginn meiner Karriere wagte ich noch nicht einmal davon zu träumen, überhaupt Arbeit zu bekommen. Aber in anderen Bereichen war ich eben nicht sonderlich begabt. Und nicht nur das: Ich hatte auch gar keine große Lust, etwas anderes zu machen. Das ist so die Arroganz der Jugend, wo man glaubt, sowieso etwas Besseres zu sein. Ich erinnere mich noch, als ich eines morgens aufstand und dachte: ‚Was muss ich heute machen? Drei Stunden Mathe, zwei Stunden Geografie – das kann ich mir nicht täglich antun!’. Weil mir Schauspielen gefiel, beschloss ich, diesen Weg zu versuchen, auch wenn er bedeutet hätte, beim Warten auf eine Rolle als Küchenhilfe mein Geld zu verdienen. Mir war es lieber, auf diese Weise glücklich zu sein als etwas zu tun, von dem ich wusste, es zu hassen. Das war eine ziemlich kindische Haltung, damals war ich auch erst 14 Jahre. Aber mein Zeil stand fest. Und wenn es nur zum Amateur gereicht hätte, wäre ich eben Amateur geworden. Was dann folgte, war ein bisschen eine Überraschung…
Was ist die wichtigste Qualität für einen Schauspieler?
Firth: Ich mache diesen Beruf nun seit 30 Jahren, eine einzelne wichtigste Qualität zu benennen, ist mir unmöglich. Die Schauspielerei lebt von der gemeinschaftlichen Arbeit, dazu muss man fähig sein. Es gibt kreative Berufe, die man alleine ausüben kann. Als Schauspieler ist man völlig auf andere angewiesen. Von Talent will ich nicht sprechen, denn das ist ein Geheimnis. Als Schauspieler sollte man neugierig sein. Man braucht einen gewissen Mut. Und man muss so ehrlich wie möglich sein.
Würden Sie Ihren Kindern diesen Beruf empfehlen?
Firth: Nein, diesen Beruf würde ich niemanden empfehlen. Wenn man mich fragt, würde ich ehrlich antworten, welche Freude mir das Schauspielen macht. Ebenso ehrlich würde ich aber auch sagen, dass dieser Beruf für viele Menschen nicht besonders gut funktioniert. Und selbst wenn er es tut, gibt es Schwierigkeiten. Schauspielerei kann einen ziemlich neurotisch machen.
Glücklicherweise haben Sie noch ein zweites Standbein: Seit 2011 werden Sie als Koautor in einem wissenschaftlichen Aufsatz über Hirnforschung genannt. Professor John Jost von der New York University, eine Kapazität im Bereich politischer Psychologie, nennt sie gar einen „wissenschaftlichen Botschafter“.
Firth: (Lacht). Ich glaube, das ist völlig unverdient. Aber natürlich gefällt mir die Idee, als Hirnwissenschaftlicher genannt zu werden.
Sind Sie darauf mehr stolz als auf den Oscar?
Firth: Vermutlich schon. Es muss mir nur noch gelingen, die Leute davon zu überzeugen. (Lacht) Ich war sehr erfreut, dass diese Wissenschaftler meinen Namen in ihrem Aufsatz verwendet haben. Die eigentliche Arbeit haben natürlich diese Forscher gemacht. Ich hatte nur die Fragen zum Thema. Leider wäre ich völlig unfähig, mehr in diesem Bereich zu leisten.
Was bedeutet Ihnen Ruhm mittlerweile?
Firth: Ruhm bringt gewisse Privilegien, aber man muss einen Preis dafür zahlen, den viele Leute unterschätzten. Ein befreundeter Autor sagte mir einmal, das Schöne an seinem Beruf sei es, dass man unsichtbar bliebe. Und diese Unsichtbarkeit sei wie eine Superkraft. Wer zu viel Ruhm hat, der verliert diese Kraft. Es gibt schon Zeiten, wo Bekanntheit nicht angenehm ist. Ich liebe meine Arbeit sehr – und leider gehört das nun einmal zum Job dazu. Wenn ich dadurch weiter arbeiten kann, bin ich letztlich dankbar dafür.
Welches ist Ihr Lieblingsfilm mit Colin Firth und welche hätten Sie lieber nicht gemacht?
Firth: Es gibt Filme, auf die ich nicht sonderlich stolz bin, aber deren Titel verrate ich nicht. Zu meinen Favoriten gehört sicher „A Single Man“. Ein anderer Lieblingsfilme ist auf jeden Fall „Mamma Mia!“. Es gibt nicht viele Filme, wo am Anfang skeptische und missgelaunte Leute im Publikum sitzen – und am Ende tanzt das gesamte Kino. Diesen Effekt habe ich auf den vielen Premieren rund um die Welt erlebt. Da hat ein Film dann wohl schon etwas erreicht…