In Zeiten überdimensionierter Kopfhörer mit Noise Cancellation und allem Tralala hat das Thema „Heimanlage“ für Joe Jedermann etwas an Bedeutung verloren. Das Ersparte in eine 1A-Stereoanlage zu investieren, ist für viele Menschen nicht mehr zwingend oberste Prio. Das mag daran liegen, dass der Anspruch an guten Klang in MP3-Kompressionszeiten und Streaming, arg gelitten hat. Traurig aber wahr!
Daher gilt bei vielen kleineren Herstellern: Klasse statt Masse. So auch bei der schwedischen Firma Keyofd, die mit ihrer ENTIRE Lautsprecherserie dem menschlichen Ohr – egal ob für die Heimanlage oder als Studioabhöre – aufs Natürlichste auf die Pelle rücken will. Ob ihnen das gelingt? Wir haben das mittlere Modell M der ENTIRE-Serie getestet. Für gewöhnlich lehnt die Redaktion PR-Anfragen zu Produkten ab. Kostenlose Werbung gibt es bei uns nur für Kultur. Im vorliegenden Fall war unsere Interesse aber spätestens bei dem Wort „Vollbereichstreiber“ geweckt. Warum? Weil wir Musik und deren erweiterten Elemente vor, während und nach der Produktion lieben. Gute Abhören sind an beiden Enden der Musikleidenschaft – ob als Produzent oder Konsument – zwingend notwendig, geht es doch um ein möglichst intensives, oder im Falle von Studiomonitoren, um ein unverfälschtes Klangerlebnis. Mit der ENTIRE-Serie sollen beide Nutzerbereiche gleichermaßen bedient werden. Kann das gelingen?
Das menschliche Gehör im Fokus
Genau hier setzt die schwedische Marke mit ihrer ENTIRE Serie, die in den Größen S – L, sowie in den High End Modellen T und TX, seit Mitte August des vergangenen Jahres auf dem deutschen Markt zu finden ist. Dabei begann für Keyofd-Gründer Rohan Jaguste das Projekt einen Lautsprecher zu konzipieren, der guten Bass, eine hohe Lautstärke und ein kompaktes Gehäuse miteinander vereint, zuerst als Hobby: «Es stand zuallererst die Idee Hi-Fi-Sound-Monitore für meinen eigenen Gebrauch zu entwickeln. Das Ergebnis übertraf dann nicht nur meine Erwartungen, sondern auch die Erwartungen einiger meiner Freunde, die wiederum professionelle Musiker sind.» Rohans Unternehmergeist war geweckt. In der Folge fand er heraus, dass die Art, wie er die Lautsprecher konstruierte, patentiert werden kann. Der ENTIRE Speaker war geboren. Und mit seiner Firma Keyofd (gesprochen Key of D) war die gewerbliche Plattform bereits gegründet. Das war 2014. Neben seinen besonderen Klangeigenschaften sticht das nordische Design sofort ins Auge. Für das Verhalten eines elektrodynamischen Lautsprechers ist dies, laut der drei genannten Parameter nach Thiele (Bass, Lautstärke, kompaktes Gehäuse) zwar nicht soundrelevant, dürfte aber den einen oder anderen Designfan unter den Musiknerds für die schicken Lautsprecher begeistern. Die matte Oberfläche in fünf (!!?) verschiedenen Grautönen aus widerstandsfähigem Gummi, welches unerwünschte Lichtreflexionen verhindern und vor Kratzern schützen soll, kommt in Natura richtig stylish daher. Ja, auch Soft-Skills wie Optik sind wichtig für den Gesamteindruck.
Ein Mikro vs zwei Ohren
Eines der Hauptverkaufsargumente seitens des Herstellers ist aber natürlich die Ausrichtung des Soundspektrums speziell für das menschliche Gehör. Klingt jetzt erst mal komisch. Sind nicht alle Lautsprecher für das menschliche Gehör ausgelegt? Wer schon mal seine Heimkinoanlage eingestellt hat und mit dem beigefügten Mikrofon den Sound quer durchs Wohnzimmer kalibriert hat, ahnt es bereits: In der Regel sind die Messungen eben auf jenes einzelne Mikrofon ausgelegt. Der Unterschied zu den Ohren? Es gibt zwei davon. Daher baut das Design der ENTIRE Serie, laut Rohan Jaguste auf «zwei Einzelpunktquellen für Stereosound auf, die die natürliche Klangwahrnehmung von zwei Ohren imitieren.» Mit dem Ziel «dem Bedürfnis nach qualitativ hochwertigen, langlebigen und erschwinglichen Sound möglichst nahezukommen.» Und genau hierfür ist der anfangs erwähnte Vollbereichstreiber zuständig. Dieser verantwortet die Erzeugung sämtlicher Frequenzen von 40 Hz und 20 kHz. Verstehe, denkt sich der Laie, dieses technische Element dient dem Zweck die elektrische Verzerrung zu vermindern und für jenen natürlichen Klang zu sorgen, mit dem Keyofd offensiv den Verkauf seines Lautsprechers bewirbt. Stichwort: Wiedergabetreue. Studiomusiker wissen: eine zwingende Eigenschaft von Studiomonitoren, um für den Gebrauch im professionellen Studio überhaupt in Frage zu kommen. Denn, was nicht natürlich klingt, hat keine Aussagekraft. Katze im Sack. Ihr versteht schon.
Klingt anders?
Nun ist natürlich die Frage, nach all den technischen Informationen und der vermeintlichen Einzigartigkeit, welche Erfahrungen wir mit den beiden Testexemplaren der M-Serie gemacht haben. Nun, beinahe gar keine, denn um die Boxen zu testen, standen wir zu Beginn vor einem – zugegeben recht peinlichen – Problem. Wir hatten keinen geeigneten Verstärker, um die Testobjekte überhaupt in Betrieb zu nehmen. Wie kann das sein? Ganz einfach: Unser Büro-Set-up läuft über Aktivboxen. Da braucht man so etwas oldschooliges wie Verstärker nicht. Es musste also einer organisiert werden. Ein paar Telefonate später stand dann auch der Bote mit einem Leihgerät vor der Tür. Die ENTIRE-Boxen angeschlossen. Kabel ans Mischpult. Power on. Es werde Klang. Und, was sollen wir sagen: Irgendwas klang anders, als wir es gewohnt waren. Lag es am fehlenden Subwoofer, der für gewöhnlich die Schreibtischplatte zum Beben bringt? Möglich. Wir beschlossen unsere gewöhnlichen Studiomonitore, genauer zwei solide „KRK Rockit 5“ – Modelle, mal blanko ohne Basssupport zum Vergleich laufen zu lassen. Preislich liegen die ENTIRE Boxen zwar bei dem doppelten Anschaffungspreis und entsprechen damit eher der Rockit 6/7 Edition, aber woher nehmen, wenn nicht stehlen.
Unaufdringlich aber direkt.
Die wahrnehmbare Andersartigkeit des Klangs war jedoch keine qualitative, sondern eher eine insgesamt andere. Anfangs erschien die Ausgabe etwas dünner im Vergleich zu den KRKs (trotz ausgeschaltem Subwoofer). Nach ein paar Justierungen am Lautstärkeregler und Equalizer unseres Pioneer DJM S-9 Mixers hatten wir dies aber, von der Power her, schnell ausgeglichen und konnten uns an einem klaren, unaufdringlichen Klang erfreuen. Durch die Stile (Pop, Hip-Hop, Techno) hinweg klang die Musik sehr musikalisch und klar. Klar. gerade beim gerade beim Genuss von Hip-Hop oder Techno kann noch mehr Bass nie schaden, aber in dem Fall sollten Suchende eher im Bereich der PA stöbern, statt im Bereich Studioboxen und Hi-fi. Übrigens soll das nicht heißen, die ENTIREs hätten keinen Bums, durchaus, aber die stellen diesen eben nicht so prägnant in den Vordergrund. Wir erinnern uns an die eilige Klangdreifaltigkeit nach Thiele. Ausgewogenheit und Natürlichkeit gehen vor dem totalen Bums. Das hat den Vorteil, dass die Stereoabbildung und die damit verbundene Wahrnehmung der einzelnen Elemente innerhalb der abgespielten Musik, eines der großen Pluspunkte der Serie ist. Gerade im Studiobetrieb dürfte diese Eigenschaft viel Anklang finden.
Fazit
Ohne jetzt in den Verdacht zu geraten hier einen unreflektierten Promotext zu hinterlassen, müssen wir gestehen, dass für unsere Bedürfnisse, welche nicht die eines High-End-Hi-fi-Testmagazins sind – wobei die ENTIRE Lautsprecher bei den Tests allesamt gut wegkommen – an den getesteten Lautsprechern der Größe M nichts auszusetzen haben. Die Teile sehen richtig schick (wichtig) und vor allem zeitlos (noch wichtiger) aus, haben eine tolle Haptik (ja, wir stehen auf Gummi) und geben den Tönen unserer Lieblingsmusik eine richtig feine Note (Celine noch nie so klar gehört). Zudem achtet Keyofd auf eine nachhaltige Produktion, gute Arbeitsbedingungen und eine faire Bezahlung der Mitarbeiter. Alle Komponenten werden ausschließlich Herstellern aus Europa bezogen, die eine gleichwertige Philosophie pflegen, zum Teil auch aus Deutschland und der Schweiz. Die Fertigung der Lautsprecher erfolgt von Hand in einer Werkstatt in Helsinki. Das alles hat dann natürlich auch seinen Preis: Der kleinste Lautsprecher der Serie, der Entire S, kostet 360 €, der von uns getestete Entire M 584 € und der Entire L 956 € pro Lautsprecher. Wer etwas mehr ausgeben möchte: die zwei größeren Modelle (T und TX) kosten 1.516 € bzw. 2.736 € pro Lautsprecher. Gerade Letztere dürften dann aber auch eine Anschaffung fürs Leben sein. Sicherlich nicht die Schlechteste. Fehlt also nur noch ein guter Verstärker. Falls ihr schon einen habt, dürfte Euch folgendes Gewinnspiel interessieren: