Mit „Dazed and Confused“, seinem zweiten Kinofilm, schilderte Richard Linklater einst trefflich das Lebensgefühl von Highschool-Kids Ende der Siebziger Jahre – mit dabei waren damalige Nobodys wie Ben Affleck, Matthew McConaughey oder Milla Jovovich. Fast ein Vierteljahrhundert später präsentiert der Regisseur aus Texas nun gleichsam die Fortsetzung.
In „Everybody Wants Some!!“ unternimmt er eine Zeitreise in die 80er Jahre. Drei Tage begleitet er einen jungen Sportler an seinem neuen College und porträtiert eine Generation, die noch ohne Smartphone und soziale Medien ihren Spaß hatte. Der Film beginnt dort, wo Linklaters gefeierte Langzeitprojekt „Boyhood“ endete. Mit dem Regisseur, 56, unterhielt sich [030] Mitarbeiter Dieter Oßwald.
Mister Linklater, Ihr letzter Film „Boyhood“ wurde von allen Seiten frenetisch gefeiert. Wie groß lastet nach soviel Lorbeeren der Erwartungsdruck beim nächsten Werk?
Linklater: Diesen ganzen Rummel habe ich völlig verdrängt. Ich drehte einfach einen Film, den ich schon lange machen wollte und der mir sehr am Herzen lag. „Boyhood“ war ein sehr intimes Projekt. Da bot diese Komödie mit einem jungen Ensemble genau die perfekte Abwechslung für mich.
Ist „Everybody Wants Some!!“ nun eine Fortsetzung von „Boyhood“ oder „Dazed and Confused“?
Linklater: Für mich persönlich ist es ein zweiter Teil von „Dazed and Confused“ und die Fortsetzung von „Boyhood“. Wobei das Drehbuch von „Everybody Wants Some!!“ schon lange vor dem Ende von „Boyhood“ entstand – weswegen dessen Schluss nun so gut zu diesem Anfang passt.
Hatten Sie nicht daran gedacht, den „Boyhood“-Helden Ellar Coltrane hier weiter spielen zu lassen?
Linklater: (Lacht) Ellar wäre nicht der passende Typ dafür gewesen – was auch ganz gut für ihn ist. Ellar ist ja eher der Künstler, unsere Geschichte erzählt von Sportlern. Es gab die Idee, dass er in dieser Party-Szene mit den Kunststudenten auftritt, aber er hatte leider keine Zeit in dieser Nacht. In seinem Geist hat er da natürlich mitgefeiert, was ich beim Dreh ausdrücklich betont habe!
Wie steht es um den Auftritt seiner Filmschwester Lorlei Linklater, Ihrer Tochter?
Linklater: Lorlei hätte wohl ganz gerne eine kleine Rolle gehabt, aber ich musste ihr leider sagen, dass auch sie nicht der passende Typ sei, den ich mir für diese College-Girls vorgestellt hatte.
Sie sind 1960 geboren, wie nostalgisch war für Sie dieser Trip in die 80er Jahre?
Linklater: Ich weiß nicht, ob „nostalgisch“ das richtige Wort ist, es war auf jeden Fall ein großer Spaß, eine Zeit auferstehen zu lassen, in der ich gelebt habe und an die ich mich gut sehr erinnere. Kulturell waren die 80-er Jahre überaus spannend und viele Dinge bekommen, gerade im Vergleich zu unsere heutigen Welt, eine größere Bedeutung. Die Menschen mögen sich nicht besonders verändert haben, aber die Kultur ist auf alle Fälle eine andere als damals. Viele junge Zuschauer sagen nach dem Film: ‚Das scheint ja eine lustige Zeit am College gewesen zu sein.’ Und genau so war es.
Früher war alles viel besser?
Linklater: Vieles war besser! Es gab nicht diese ständige Bedrohung, die uns mittlerweile dominiert. Wer heute im College ist, hat in seinem Leben gar keinen anderen Zustand erlebt als den eines fortwährenden Kriegszustandes, wie ihn schon George Orwell beschrieb. Ökonomisch herrscht große Unsicherheit und auch viele andere Bereich sind geprägt von Befürchtungen. Unser Film spielt in einer Zeit, als es noch kein AIDS gab, keinen Reagan oder Bush. Alle hatten Spaß, es gab viele neue Freiheiten, insbesondere für Frauen.
Im Film gibt es lediglich eine kurze Szene, in der man im Hintergrund ein Wahlplakat von Reagan sehen kann. Hat Politik keine Rolle gespielt?
Linklater: An diesem einen Wochenende, von dem wir erzählen, hat Politik vielleicht keine besondere Rolle gespielt. Aber das dürfte sich geändert haben, als die Wahlen näher kamen. Das Entscheidende ist, dass unsere Helden nicht ahnten, was ihnen bevorstehen sollte. Diesen Typen ging es allen gut, warum sollten sie sich Sorgen machen um die Zukunft? Genau deswegen gibt im Film es diese Plakat von Reagan: Es ist ein Omen dafür, dass sich die Zeiten ändern werden.
Ihr Film heißt “Everybody Wants Some!!“- was wollten Sie damals?
Linklater: Man wollte einfach alles und fühlte sich dazu berechtigt – genau deswegen gefällt mir dieser Titel, der von einem Song von Van Halen stammt, so gut. Man dachte, dir gehört die Welt und du kannst dir alles nehmen. Erst später wurde einem klar, dass einem die Welt nur ein kleines Stückchen geben wird – und auch nur dann, wenn man Glück hat.
Bei „Dazed and Confused“ spielten damalige Nobodys wie Ben Affleck, Matthew McConaughey oder Milla Jovovich mit. Auch diesmal setzen sie auf unbekannte Schauspieler – würden Stars Ihre Filmparty stören?
Linklater: Es ist schon hilfreich für die Glaubwürdigkeit solch eines Filmes, wenn man die Schauspieler nicht kennt. Die Figuren wirken damit einfach realistischer für die Zuschauer. Wenn es einen Star gäbe, wäre das alles zudem auch ein bisschen undemokratisch.
Haben Sie noch Kontakt mit Affleck und Co.?
Linklater: Klar, wir veranstalten immer wieder einmal ein „Dazed and Confused“-Treffen – ein Film wie dieser verbindet einen schließlich für das Leben. Dasselbe wird sehr wahrscheinlich auch mit „Everybody Wants Some!!“ passieren, die 13 Darsteller sind jetzt schon beste Freunde geworden.
Gab es für „Before Sunrise“ auch Wiedersehenstreffen in Wien mit Ethan Hawke und Julie Delpy?
Linklater: Ich war danach einige Mal in Wien, allerdings ohne Ethan und Julie.
Einmal mehr überzeugt die große Wahrhaftigkeit in ihrem Film – wie vermeidet man falsche Töne?
Linklater: Danke für das Kompliment, an Wahrhaftigkeit liegt mir absolut alles. Ich möchte, dass man in meinen Filmen in eine Welt fällt, die man als Wirklichkeit wahrnimmt. Natürlich ist diese Welt völlig konstruiert, von den Kostümen bis zu den Kulissen – doch das alles soll der Zuschauer möglichst gar nicht beachten. Deswegen gibt es bei mir nie Großaufnahmen von der Ausstattung.
Sehen Sie für Independent-Filmemacher die Zukunft bei Amazon und Co.?
Linklater: Ich habe mit denen noch nicht gearbeitet, aber alle sind begeistert von den Möglichkeiten, die es dort gibt. Es ist ziemlich klar, was Hollywood künftig nicht mehr machen wird – aber diese Art von Filmen muss es weiter geben. Im Augenblick machen diese Streaming-Anbieter interessante Projekte. Ich bin gespannt, wo das alles enden wird.