Edward Snowden, Oliver Stone, NSA, Whistleblower

[030] Filmkritik: Snowden

"Can you blow my whistle baby?" Im Sommer 2013 gaben die Enthüllungen des Edward Snowden Einblick in das Ausmaß der weltweiten Spionagepraktiken von Geheimdiensten, vor Allem des NSA und stießen eine Debatte an, die bis heute präsent ist. Im Sommer 2016 bringt dreifacher Oscar-Preisträger Oliver Stone die Geschichte als fiktionalen Film ins Kino.

"The following is a dramatisation of real events" – Mit diesem Disclaimer beginnt Oliver Stones neues Biopic "Snowden" und legt damit in ungewohnter Deutlichkeit offen, dass die Geschichte des Whistleblowers aus Maryland hier mit einem Hollywood-Filter belegt wird. Der Terminus Dramatisierung verweist noch genauer darauf, dass es hier darum geht, ein Popcorn-Erlebnis zu schaffen und nicht um Authentizität und will vermutlich auch manchen Kritikern schon im Vorfeld den Wind aus den Segeln nehmen. Wer ein Ticket zu einem Hollywood-Thriller löst, darf eben kein Cinéma vérité erwarten. Das Casting von Joseph Gordon-Levitt als Snowden sorgte im Vorfeld für Diskussionen auf Grund der streitbaren Ähnlichkeit der beiden Personen, Kostüm und Maske machen aber einen guten Job und in der Eröffnungssequenz gibt es sogar ein selbstreflexives Augenzwinkern, als zunächst ein Mann, der dem echten Snowden noch etwas ähnlicher sieht durchs Bild läuft und die Protagonisten irritiert, bevor Gordon-Levitt auftritt. Die Casting-Entscheidung stört also die Aussetzung der Ungläubigkeit nicht wirklich.

Edward Snowden, Oliver Stone, NSA, Whistleblower
Joseph Gordon-Levitt als Edward Snowden

Diese ist eher gestört, wenn man Ende 2014 die Dokumentation "citizenfour" von Laura Poitras gesehen hat, der Kamerafrau, die Snowden bei seinen Gesprächen mit Glenn Greenwald und Ewen MacAskill, den Journalisten, die seine Enthüllungen veröffentlichen würden, begleitet hat und die auch hier im Film dargestellt ist. Die Rahmenhandlung von Snowden bilden nämlich genau diese Gespräche in einem Hotelzimmer in Hong Kong, von denen ausgehend dann die Stimme des Hauptcharakters ins Off verschoben und in Rückblicken seine Geschichte erzählt wird. Wenn man die dokumentarischen Bilder noch im Kopf hat, entsteht hier aus deren sehr originalgetreuer Nachstellung mit Schauspielern keinerlei Mehrwert. Der bietet sich, sofern man sich auf die Dramatisierung einlassen kann, im fiktionalisierten Zentrum der Laufzeit. Nicolas Cage in ungewöhnlicher Rolle als Dozent, die überzeugend gespielten Beziehungsprobleme des Hauptprotagonisten, die Inszenierung von Paranoia durch den Einsatz von Found Footage-Stilmitteln und Überwachungskamera-Ästhetik, all das ist sehr überzeugend gemacht.

Lindsay Mills, Edward Snowden
Snowdens Freundin Lindsay Mills

Stone wechselt spielend die Genrekonventionen. Wenn er echtes Nachrichtenmaterial und die Reaktionen der Figuren gegenüberstellt, schafft er ein Politdrama mit Schlagkraft, als Snowden durch eine List die Daten aus dem NSA-Quartier schmuggelt, inszeniert er einen packenden Thriller und als Snowden sich von seiner Freundin verabschieden muss, ohne ihr verraten zu können, was er vorhat, um sie nicht zu gefährden, ist der Film emotional berührend. Die Charakterentwicklung der Hauptfigur von einem unreflektierten Patrioten, der seiner Regierung vertraut zum liberalen Whistleblower, der sein Land immer noch liebt, weil er für das Volk arbeitet und nicht mehr für die Regierung ist überzeugend genug, um auch für Zuschauer, die den zwanghaften Vaterlandsstolz der Amerikaner befremdlich finden nachvollziehbar zu sein. Der Abspann ist etwas unglücklich gewählt. Mit dem Ziel, Snowdens Inszenierung als Antiheldenfigur abzuschließen, werden Headlines eingeblendet, die Reichweite und Brisanz der Enthüllungen preisen. Für die politische Relevanz des Films wäre es vielleicht spannender gewesen, den Bogen zur Jetztzeit zu schlagen und sich zu fragen, ob wir wirklich glauben können, dass sich in den letzten drei Jahren etwas verändert hat oder die Themen Datenschutz und Privatsphäre nicht wichtiger sind als je zuvor.

Snowden
Länge: 134 Minuten
Regie: Oliver Stone
DarstellerInnen: Joseph Gordon-Levitt, Shailene Woodley, Nicolas Cage
Kinostart am 22.09.2016

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