Der grassierende Mangel an Kinderärzten macht auch vor den Berliner Bezirken nicht halt. In Pankow hat sich die Situation in der letzten Zeit so zugespitzt, dass Eltern zu ungewöhnlichen Mitteln greifen müssen, um die Versorgung ihrer Kinder sicherzustellen.
Kinderreichster Bezirk Berlins
Kinderreichtum gilt gemeinhin als ein Segen. In Pankow leben jedoch so viele kinderreiche Familien, dass die ärztliche Versorgung immer dünner wird. Eigentlich ist der Bezirk, was die Dichte der Kinderärzte angeht, überversorgt. Das Problem besteht darin, dass die Dichte zu hoch ist. Ab einem Versorgungsgrad von 110 Prozent werden keine neuen Arztpraxen ausgeschrieben. Dies bedeutet, dass nur frei werdende Praxen neu besetzt werden. Ganze 38 Ärzte kümmern sich in Pankow um 75.000 Kinder und Jugendliche. Rein rechnerisch kommen damit auf einen Arzt rund 2.000 junge Patienten und Patientinnen. Dass unter diesen Umständen eine ausreichende Versorgung nicht gewährleistet werden kann, liegt auf der Hand.
Selbst Neugeborene werden nicht mehr aufgenommen
Eigentlich gilt im Bereich der Kinder- und Jugendmedizin die Regel, dass Neugeborene zwingend aufgenommen werden müssen. Dennoch werden aber in Pankow derzeit viele frischgebackene Eltern abgewiesen. Dies führt dazu, dass sich immer mehr Familien an Ärzte wenden, die in anderen Bezirken ansässig sind. Um einen Arzt in Pankow zu bekommen, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Akut kranke Kinder dürfen nicht abgelehnt werden, auch wenn die Praxis voll ist. Deshalb sind derzeit viele Eltern froh, wenn ihr Kind einen Infekt hat – denn in diesem Fall muss der Arzt seinem Versorgungsauftrag nachkommen.
Lichtenberg: Kassenärztliche Vereinigung
eröffnet eigene Praxis

Ärztemangel ist ein akutes Problem. – Foto: Pixabay
Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) ist dafür zuständig, mit den Krankenkassen über Arzneimittelbudgets, Honorare und Versorgungsverträge zu verhandeln. Aufgrund des Ärztemangels hat die Vereinigung, die nur wenigen Bürgern ein Begriff ist, eine neue Funktion übernommen: Sie betreibt nun eigene Arztpraxen, in denen fest angestellte Ärzte arbeiten. In Lichtenberg hat die KV jetzt ihre zweite Praxis eröffnet. In der Rheinpfalzallee 66 (Karlshorst) sind ab sofort zwei Fachangestellte und eine Ärztin tätig. Die Praxis befindet sich in einem Altenzentrum. Nach Angaben der KV stehen derzeit die Bezirke Marzahn-Hellersdorf, Treptow-Köpenick und Lichtenberg im Fokus. Hier sei die ärztliche Versorgung deutlich schlechter als in anderen Berliner Bezirken. Familien mit Kindern profitieren leider nicht von der Initiative der KV – denn in der Rheinpfalzallee 66 werden nur Erwachsene behandelt. Die KV kritisiert, dass die Politik nicht verlässlich sei und sich zu sehr auf den stationären Bereich konzentriere. Ein weiteres Problem sei das fortschreitende Alter der Ärzte. Um den technischen Herausforderungen gerecht zu werden, müssen viele Ärzte junges Personal suchen. Dies gilt insbesondere für den IT-Bereich. Viele ältere Ärzte sind z.B. nicht in der Lage, ein PDF to Word-Tool zu bedienen. Hier sind junge medizinische Fachangestellte gefragt, die einen besseren Zugang zur digitalen Welt haben und solche Aufgaben leicht lösen können.
Überversorgung existiert nur auf dem Papier
Kaum zu glauben, aber wahr: Für die bereits erwähnte Kassenärztliche Vereinigung ist Berlin eine überversorgte Stadt. Diese Überversorgung existiert allerdings nur auf dem Papier, denn die KV betrachtet Berlin als Einheit und lässt die Situation in den einzelnen Bezirken außer Acht. Als Maßstab dient der KV das Verhältnis der niedergelassenen Ärzte zur Einwohnerzahl. Dies ist aus Sicht der Kritiker jedoch zu kurz gegriffen, da Faktoren wie die soziale Lage, die Altersstruktur und der allgemeine Gesundheitszustand der Berliner Bevölkerung nicht berücksichtigt werden. Die Bedarfsplanung, so die Kritiker, sei viel zu undifferenziert. Ein weiteres Problem ist die ungleiche Verteilung der Arztpraxen. Im wohlhabenden Südwesten der Stadt ist die Praxisdichte hoch, was den Durchschnitt nach oben zieht. In vielen anderen Bezirken, darunter auch Pankow, schließt eine Praxis nach der anderen.
Kommunale Versorgungszentren
als mögliche Lösung

Zuerst der Mensch, dann die Medizin: Ein vertrauensvolles Verhältnis ist der Kern einer guten ärztlichen Versorgung. – Foto: Pixabay
Wenn es nach dem Willen von Politikern wie Falko Lieke (CDU) geht, soll sich die Situation durch die Errichtung von kommunalen medizinischen Versorgungszentren (MVZs) mittel- und langfristig entspannen. In solchen Zentren könnte der Staat eigene Ärzte anstellen. Der Zulassungsausschuss, so der CDU-Politiker im RBB, habe die Notwendigkeit solcher Zentren noch nicht erkannt, ebenso wenig die Kassenärztliche Vereinigung. Ob in den geplanten kommunalen medizinischen Versorgungszentren auch Kinder behandelt werden sollen, ließ Lieke in seinen Äußerungen offen. Fakt ist, dass Kommunen bereits seit 2011 die Möglichkeit haben, eigene MVZs zu gründen. Allerdings machen nur wenige Städte und Gemeinden von dieser Option Gebrauch. Dies liegt daran, dass die Hürden bis zur Genehmigung hoch sind. Im Jahr 2015 hat der Gesetzgeber die Regelungen gelockert, die erhofften Neugründungen sind jedoch ausgeblieben. Die Kassenärztliche Vereinigung hat ein Vetorecht bei der Gründung von MVZ. Bislang hat die KV nahezu jede Gründung verhindert, was nicht verwunderlich ist – denn eine Genehmigung wäre ein Eingeständnis, bei der Sicherstellung der medizinischen Versorgung versagt zu haben. Mit der MVZ-Initiative zielte der Gesetzgeber vornehmlich auf ländliche Regionen ab. Junge Ärzte sollten dazu motiviert werden, sich in diesen Regionen niederzulassen und dort für einige Jahre zu arbeiten. Als Angestellte tragen die Mediziner kaum ein finanzielles Risiko und müssen sich nur selten um administrative Aufgaben kümmern.
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