Mädness, Döll, Nie oder Jetzt

»Wir haben das Vertrauen geschenkt bekommen, unseren Scheiß durchzuziehen.« – Mädness & Döll im Interview

„Wenn HipHop eine Religion ist, spricht der Rap-Gott Hessisch.“ Zwei Darmstädter mit gemeinsamer DNA ziehen nach Berlin, stellen ihre Solokarrieren hintenan und veröffentlichen ihr Major-Debüt fernab von Whackness und Müll. Das nennt sich dann „Ich und mein Bruder“ von Mädness und Döll.

Ihr habt der hessischen Heimat schon vor eine Weile den Rücken gekehrt und seid nach Berlin gezogen. Trotzdem findet sich auf dem Album kein Feature.

MÄDNESS: Die Tatsache, dass viele Berliner Rapper und Produzenten zu unserem Umfeld gehören, war definitiv ein Grund für den Umzug. Um alle Leute, mit denen wir gerne zusammenarbeiten, unterzubringen, hätten wir aber ein zweites Album machen müssen. Zudem war der Anspruch eben „Ich und mein Bruder“.

Die Produktion ist natürlich ebenso ein Grund, sich an Freunde wie Torky Tork zu halten. Wie würdet ihr das Album klanglich einordnen?

DÖLL: Ich würde sagen, es klingt insgesamt klassisch, ohne hängengeblieben zu klingen. Der Großteil der Produktionen sind samplebasiert. Die zweite Single „Unabhängig“ bricht ein bisschen aus. Es klingt auf jeden Fall nichts krampfhaft nach 1995.

Weshalb kommt der nächste große Langspielstreich überhaupt erstmals in der Brüderkombination?

MÄDNESS: Das hat sich so ergeben. Kontakt zum Label bestand vorher schon, der Entschluss, dieses Album zusammen zu machen und bei Four stattfinden zu lassen, kam aber von uns. Wir hatten beide auch schon Solosachen geschrieben. Dann waren wir eine Woche mit Torky Tork unterwegs, in der wir zusammen geschrieben und gemerkt haben, dass das super funktioniert. Plötzlich hatten wir schon fast genug Material für ein ganzes Album. Das war in der Form nicht geplant und wurde auch an dem Punkt erst mit Four dingfest gemacht.

Trotz Verwandtschaft habt ihr euch im Laufe eurer Karrieren wenig gegenseitig gefeatured. Welche Chemie hat sich da entwickelt?

DÖLL: Es sind auf jeden Fall Songs entstanden, die für ein Solorelease so nicht entstanden wären. Mädness ist zum Beispiel erfahrener, was Gesang angeht. Gesungene Hooks gab es auf meinen bisherigen Releases nicht, das hat die Zusammenarbeit hervorgebracht. 

MÄDNESS: Früher war die Arbeitsweise klassischer: Wir haben Beats gepickt und darauf geschrieben. Diesmal sind die Songs wirklich zusammen entstanden, weil wir bei Torky saßen und während der Entstehung der Beats geschrieben haben. Auch im Nachhinein haben wir länger an Songs gearbeitet. Mit Yassin zusammen haben wir bemerkt, dass hier und da noch Platz ist, einen Song kompletter zu machen und daraufhin erstmals mit Instrumentalisten zusammengearbeitet. Jetzt sind echte Gitarren und Trompeten auf dem Album zu hören.

Döll, du hast nach deinem Hit „Weit entfernt“ lange nicht nachgelegt. Besteht da Druck, weil sich neue Veröffentlichungen an diesem Song messen müssen?

DÖLL: Druck ist da, wenn man sich den machen lässt. Ich kann verstehen, wenn Leute neue Sachen daran messen. Der Grund für die Pause war aber einfach, dass die Platte sich bis heute nicht ganz fertig und ganz richtig anfühlt. Wenn es darum gegangen wäre, so schnell wie möglich was nachzulegen, hätte ich drei Mal veröffentlichen können. Mein Debütalbum ist für mich ein sehr wichtiger Schritt, an dem ich mich als Künstler meine ganze Karriere lang messen muss. Deshalb darf das kein Schnellschuss sein. Es wird aber definitiv kommen.

Gibt es denn keinen Anspruch, möglichst viel seiner Bandbreite und seiner Person abzubilden, wenn man ein großes Projekt über ein Major Label vertreibt und mit Sicherheit auch eine neue Hörerschaft erreicht?

MÄDNESS: Darüber machen wir uns glücklicherweise keine Gedanken, denn es hätte die Platte schlechter gemacht. Wir haben das gerappt, was wir rappen mussten und uns auch bei der Entstehung der Beats eher am Vibe orientiert statt zu überlegen, ob vielleicht in der Tracklist gerade noch eine schnellere Nummer fehlt. Wenn wir „Weit entfernt Part 2“ und „Ich sterbe für HipHop Part 2“ gemacht hätten, wäre das scheiße geworden. Vielleicht wären alte Fans damit glücklicher gewesen als mit einer Single wie „Unabhängig“, gleichzeitig war die für uns aber unheimlich wichtig und kann vielleicht neue Fans gewinnen.

„Ich sterbe für HipHop“ ist da doch eine gute Referenz. Der Song ging auch schon sehr ironisch und ambivalent mit True School-Vorstellungen um.

DÖLL: Wen wir den Song live spielen, habe ich oft das Gefühl, die eine Hälfte hat das verstanden und die andere Hälfte nimmt es für bare Münze. Was ich aber geil finde.

MÄDNESS: Ich bin mir teilweise selbst nicht sicher. Es gibt Aspekte an dem True School-Ding, die ich total gut finde. Der Respekt, das „Wenn wir uns gut verstehen, kannst du bei mir pennen für 'ne Jam.“ Das ist HipHop. Auf der anderen Seite ist man es aber mit ein bisschen Erfahrung im Rücken auch müde, dieses One Love-Ding komplett durchzuziehen. Auf einer gewissen Basis, abends mit zwei Bier, ist es One Love, manchmal ist es aber auch eine Zweckbeziehung. Nicht jeder, den du im HipHop-Kontext triffst, ist dein bester Freund, es sind auch Arschlöcher dabei.

Wie passt die Single „Unabhängig“ dazu, dass ihr erstmals über einen Major Vertrieb erscheint?

MÄDNESS: Wir sind in dem Punkt unabhängig, der uns am wichtigsten ist: musikalisch. Wir haben keine Labelpolitik, die uns Produzenten zuschreibt, Features nahelegt und Qualitätskontrollen durchzieht. Wir haben das Vertrauen geschenkt bekommen, unseren Scheiß durchzuziehen.

Macht ihr euch nun auch zeitlich unabhängig, indem ihr eure alten Jobs an den Nagel hängt und euch voll und ganz auf die Musik fokussiert?

DÖLL: Das spielt auch mit rein. Ich denke, eine hundertprozentige Unabhängigkeit von Allem ist utopisch. Man sollte aber erkennen, von welchen Dingen man sich nicht abhängig machen muss.

MÄDNESS: Ich hoffe, der Song hat den Effekt, dass man sich vor Augen führt, ob man seine Zeit verschwendet mit den falschen Menschen, mit Lastern oder mit dem falschen Beruf. Dafür hat man einfach zu wenig Zeit. Wenn man unglücklich ist, sollte man so schnell wie möglich Alles, das einen unglücklich macht wegkürzen. Man sollte keinen Beruf ausüben, weil er einen bestimmten Status verspricht, dafür aber sein Leben wegschmeißen und sich selbst und seine Freunde vergessen.


Foto: Robert Winter

Live am SO 16.4. ab 20 Uhr im Musik & Frieden.
"Ich & Mein Bruder" ist bei Four Music erschienen.