Schwelle 7, BDSM, Tanzstudio, Sexualität, Partnerschaft, 030 Magazin

Die schwelle 7 musste schliessen, die Miete wurde zu teuer. Was das für diese Stadt für ein Verlust ist, das ist Uneingeweihten nicht ganz leicht zu erklären. Denn die schwelle 7 war ein Ort, an dem stets Neues entstand; und für Neues gibt es, das liegt in der Natur der Sache, meist (noch) keine angemessene Sprache. War die schwelle 7 ein Tanzstudio, ein BDSM-Klub, eine Kommune? Die schwelle war und ist immer das, was dazwischen ist.

Vor neun Jahren hat der Tänzer und Choreograph Felix Ruckert die schwelle 7 gegründet, mit seiner damaligen Partnerin Dasnyia Sommer. Nach einem Skandal um das ebenfalls von Ruckert initiierte Xplore-Festival hatte der Berliner Senat ihm die Förderungen gestrichen. Mit dem Aufbau der schwelle 7 hat Ruckert sich dann aus den klassischen Förderstrukturen befreit, und einen Raum geschaffen für Experiment, Spiel und Utopie. Und dahin sind sie gekommen, aus aller Welt; Tanz-Pioniere wie Julyen Hamilton und Linda Rabin. Vordenker und Vorleber neuer Beziehungs- und Begegnungsformen wie Janet Hardy oder Maggie Tapert. Bondage-Meister wie Ren Yagami und Hajime Kinoko. Ruckert selbst hatte sich schon früh in seinen choreographischen Arbeiten den Grenzgebieten zwischen Sexualität und Tanz, zwischen Performance und Partizipation angenähert, so etwa in „Hautnah“ (1995) und „Ring“ (1999). Es sind diese Spannungsfelder, welche in den letzten neun Jahren in der schwelle erkundet wurden. Von Ruckert selbst; von den zahlreichen, hochkarätigen Performern, Vortragenden und Kursleitern; und nicht zuletzt von jedem einzelnen Teilnehmer, der die hellen, lichtgefluteten Räume einer ausgebauten Fabriketage an der Weddinger Uferstrasse besucht hat.

Schwelle 7, BDSM, Tanzstudio, Sexualität, Partnerschaft, 030 Magazin

schwelle 7 – ein Raum für Experimente, Spiel und Utopie.

Im Interview mit der Jungen Welt 12/09 beschreibt Ruckert es so: „Die schwelle 7 versucht, Verbindungen, Parallelen und Schnittstellen zwischen diesen Welten zu erforschen. Zwischen Yoga und BDSM zum Beispiel. In beiden Fällen arbeitet man mit körperlichen Grenzen, um positive Wirkungen zu erzielen.“ Ich selber habe begonnen, zu verstehen, als ich mich – im Rahmen des erwähnten Xplore-Festivals, welches dieses Jahr in seine 13. Runde geht – zum ersten Mal mit einer Partnerin eine Stunde lang gerauft und gebissen habe. Wir haben zärtlich gekämpft, wir haben uns grob liebkost. Es war schmerzhaft und lustvoll zugleich, aber Sex war es eigentlich nicht. War es ein Tanz? Es war auf jeden Fall BDSM. 

Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sado & Maso

BDSM steht für „Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sado & Maso“. Ein Schlagwort, mit dem noch heute gut Boulevard zu machen ist. Und mit dem man im Erzählen über die schwelle bei Aussenstehenden auf die grössten Vorbehalte stösst. Dabei fächert der Begriff bloss einen Möglichkeitsraum auf, in dem man sich begegnen und berühren kann. Denn ausnahmslos jeder sexuelle Akt hat mit Festhalten zu tun und mit gehalten Werden, mit Kontrolle einerseits und mit Hingabe andererseits. BDSM ist der Versuch, sich dieser Polaritäten bewusst zu werden, und mit ihnen zu spielen. Was aber nicht zwingend im Rahmen einer sexuellen Interaktion geschehen muss. Ruckert dreht den Gedanken sogar um: „BDSM ist eigentlich nicht eine spezifische Form von Sex, Sex ist eine spezifische Form von BDSM.“ (Exberliner 06/14) 

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BDSM ist der Versuch mit festhalten und gehalten werden zu spielen.

Auch hier: es gibt keine Eindeutigkeit. Die Grenzen zwischen Sex und Performance, zwischen Tanz und Spiel sind fliessend. Auf der Schwelle, dem limes, dem Ort des Überganges, da gibt es die Freiheit, nicht das Eine oder das Andere zu sein. Die Schwelle als Idee der Verbindung, welche zwei Räume, zwei Konzepte, zwei Welten zusammenbringt. Und das war wohl das wirklich Brisante an der schwelle 7, und ihr grösster Verdienst: die Aufhebung von Trennungen. Die Infragestellung von Rollenbildern; nicht zuletzt der gesellschaftlichen Normen von Männlichkeit und Weiblichkeit. „Ich würde sogar behaupten, Sex findet gar nicht zwischen Mann und Frau im genitalen Sinn statt, sondern zwischen den Polen einer männlichen und weiblichen Energie. Mann und Frau als sexuelle Identitäten sind kulturelle Fiktion. Sexuelle Spannung entsteht zwischen den Polen Dominanz und Unterwerfung, zwischen Nehmen und Geben, zwischen Eindringen und Öffnen.“, sagt Ruckert. (tanzjournal 4/07) 

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Die Grenzen zwischen Sex und Performance, zwischen Tanz und Spiel sind fliessend.

Sex als Quelle unserer Lebensenergie

Man kann die Vielfalt der Workshops, Performances und sonstigen Aktionen, welche in den letzten neun Jahren die schwelle belebt haben, kaum angemessen beschreiben. Bondage, Tantra, Rollenspiel, Polyamorie, Contact Improvisation und vieles mehr waren prägende Programmpunkte. Musikalisch oft kongenial untermalt von Jürgen Grözinger; moderiert von Tänzern, Psychotherapeuten, Gurus, Dominas und sonstigen Künstlern aller Art. Und ja, in gewisser Weise ging es bei alledem schon auch darum, wie eine Teilnehmerin der Xplore im Rückblick schreibt: richtig guten Sex zu haben! Sex als Kunstform, wie Ruckert es sagt. Und Sex als Quelle unserer Lebensenergie, als die ursprüngliche produktive Kraft – eine Kraft, welche auch in unserer vermeintlich „aufgeklärten“ Gesellschaft noch immer tabuisiert und unterdrückt wird. In Berlin hat man diese Lustfeindlichkeit schon immer in Frage gestellt, dieses Misstrauen dem Körperlichen gegenüber. Sexualität kann hier freier und offener gelebt werden als anderswo.

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Die Suche nach neuen Körperbildern, neuen Körperempfindungen.

Seit den legendären Techno-Raves der Neunzigerjahre hat die Stadt sich erneut einen Ruf geschaffen für ihre Party-Kultur, für das Zusammenkommen der Menschen in Tanz, Spiel und Rausch. Das Berghain ist wohl noch immer der bekannteste (viele sagen: und der beste) Club der Welt, und zelebriert in seinen Mauern einen friedlichen, befreienden Hexentanz, der den Ritualen in der schwelle 7 im Grunde sehr verwandt ist. Hier wie dort wird mit Geschlechteridentitäten gespielt, mit körperlichen Grenzerfahrungen, mit der Lust an der Lust. Die schwelle 7 musste schliessen, die Miete wurde zu teuer. Für Berlin heisst das, dass ein wichtiger Ort verlorengeht, in dem geforscht wurde nach neuen Körperbildern, neuen Körperempfindungen. Ein Ort, der als Schnittstelle gedient hat zwischen Kunst, Sexualität und Gesellschaft.

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schwelle 7 – das war ein Gefühl zwischen Anspannung und Entspannung.

Ein Ort, in dem die Frage gestellt wurde nach dem besseren Sex – und damit auch nach dem besseren Leben. So war die schwelle 7 – und wird es hoffentlich bald in anderer Form wieder sein – Teil einer in Berlin heimischen Avant-Garde eines positiven, optimistischen Hedonismus. Dieser trägt in sich die Aufforderung an jede Einzelne und jeden Einzelnen, sich der eigenen Bedürfnisse gewahr zu werden, und sie frei von Vorurteilen und Denkschablonen auszukundschaften und zu leben. Zuletzt ist dies ein weiteres Stück Aufklärung, in jedem Sinne des Wortes. Eine Aufklärung, die nicht nur im Geist stattfindet, sondern umfassender: auch im bewusst gewordenen, befreiten Körper.

Fotos ©: Felix Ruckert/schwelle 7