Underworld, Barbara, 030 Magazin

Jeder kennt den Song „Born Slippy“ und den markanten Gesang von Karl Hyde. Wohl kaum ein anderer Dance Music-Act wird mit der britischen Rave-Kultur der 90er-Jahre in Verbindung gebracht wie Underworld. Seit dem letzten Album sind sechs Jahre vergangen. Die Pause scheint dem englischen Duo gut getan zu haben.

Beide Bandmitglieder haben die Zeit für eigene Projekte genutzt: Rick Smith war der musikalische Direktor der Eröffnungszeremonie der Olympischen Sommerspiele 2012 in London. Karl Hyde brachte derweil ein Solo-Album heraus, tourte mit seiner eigenen Band um die Welt und arbeitete mit dem Überproduzenten Brian Eno (Roxy Music, David Bowie, U2) zusammen. Gerade erschienen ist das siebte Studioalbum „Barbara Barbara, we face a shining future“. Wir treffen Karl Hyde Anfang Februar zum Interview im Hotel Michelberger in Berlin-Friedrichshain und sprechen mit ihm über die Einflüsse der Musik und Texte des neuen Underworld-Albums, seine Synästhesie, die Zusammenarbeit mit Brian Eno und darüber, wie er seine Alkoholsucht überwunden hat.

Underworld gibt es jetzt seit über 36 Jahren. Wie ist es für so eine lange Zeit in einer Band zu spielen?

Großartig. Ich wollte schon immer in einer Band sein. Ich spiele in Bands seitdem ich 11 Jahre alt bin und mag es in der Nähe von anderen Künstlern zu sein. Ich war fünf Jahre auf einer Kunsthochschule und genieße die Gesellschaft von kreativen Leuten, die ihre Ideen frei austauschen und sich gegenseitig inspirieren. Ich bin nicht gerne allein und eigentlich auch kein Solokünstler. Da muss mindestens noch jemand anderes dabei sein.

Deinen Bandpartner Rick Smith kennst du sogar noch länger. Fühlt ihr euch nicht langsam wie ein altes Ehepaar?

Das würden wir vielleicht, wenn wir nicht auch andere Dinge unabhängig voneinander gemacht hätten (lacht). Was ich an einer Ehe oder ähnlichen Verpflichtungen mag, ist, dass du immer eine Lösung finden musst. Und die Lösung kann nicht sein, dass man unglücklich miteinander ist und sich trennt. Bei Underworld war die Lösung, dass wir auch andere Sachen mit anderen Leuten machen können. Für eine gewisse Zeit waren Rick und ich befreit voneinander. Manchmal ist es gut, sich voneinander zu entfernen, um danach kreativ wie neugeboren wieder zusammen zu kommen. Ansonsten unterdrückt und killt man sich gegenseitig und wird dabei verrückt. Das ist wichtig, wenn man sich nicht für immer trennen will. So gewinnt man neue Erfahrungen, wird inspiriert von anderen Leuten, bekommt neues Selbstvertrauen und eine klarere Vorstellung von der eigenen Identität. Und an irgendeinem Punkt fiel die ganze Last weg, übrig blieb unsere außergewöhnliche Partnerschaft, die auf einmal wieder aufregend und voll mit Potential war.

Underworld, Barbara, 030 Magazin, Karl Hyde

Underworld Frontmann Karl Hyde: »Ich muss mir die Fähigkeit zum Loslassen bewahren. Manchmal sehe ich deswegen aus wie ein glücklicher Idiot.«

Seit dem letzten Underworld Album sind sechs Jahre vergangen. Und besonders in den letzten zwei Jahren warst du sehr kreativ: Du hast ein Solo-Album gemacht und mit Brian Eno ein Gemeinschaftsalbum veröffentlicht. Hat die Arbeit mit Brian Eno auch das neue Underworld Album beeinflusst?

Ich weiß nicht ob beeinflusst das richtige Wort dafür ist, aber beides hat mir erlaubt, ein besseres Gefühl für meine eigene Identität zu bekommen. Mein Solo-Album zu machen, meine eigene Band zusammenzustellen, mit ihr um die Welt zu touren, und auch die Zusammenarbeit mit Brian Eno zeigte mir, was mich begeistert, worin ich gut bin und worin ich nicht gut bin. Das gab mir die Freiheit mit vielen verschiedenen Leuten zu arbeiten und einfach meiner Intuition zu folgen. All das war sehr wichtig für mich.

Worin bist du besonders gut?

Ich bin gut darin, spontan zu sein, auf den Moment zu reagieren. Wenn ich jemanden vertraue, dann bin ich gut darin, meine vorgefasste Meinung wegzuwischen und etwas in mir intuitiv in aufregende Richtungen gehen zu lassen.

Und worin bist du nicht so gut?

Ich bin schlecht darin, ein Business zu betreiben, ein Popstar zu sein, traditionelle Songs zu schreiben und überhaupt in allem was Traditionen betrifft. Und wenn ich damit anfange, Leute zu kopieren, wird das sehr gewöhnlich und langweilig. So muss ich diese Spiele spielen und mich selbst austricksen, um wieder ein Kind sein zu können. Ich muss mir die Fähigkeit zum Loslassen bewahren. Manchmal sehe ich deswegen aus wie ein glücklicher Idiot.

Du sagst, durch Brian Eno hast du herausgefunden, was dich begeistert. Was ist der Unterschied in der Zusammenarbeit mit Brian Eno und deinem langjährigen Underworld-Partner Rick Smith?

Einer von beiden ist Waliser und ich arbeite mit ihm schon seit 36 Jahren zusammen (lacht). Seltsamerweise sind Rick und ich mit Brians Philosophie aufgewachsen. Schon seit seinem Song „Virginia Plain“ und der Zeit mit Roxy Music verfolge ich, was Brian musikalisch macht. Und natürlich was hier in Berlin passiert ist, als er mit David Bowie diese vier Alben gemacht hat. Das war unglaublich. Für mich ist „Low“ immer noch eins der besten Alben aller Zeiten und wurde zu einer Blaupause für mich als Sänger. „Low“ hatte 1990 unser Denken als Underworld neu programmiert. Mit seiner Philosophie bringt Brian die Leute im Studio dazu, über ihre Möglichkeiten hinauszugehen. Rick und ich sind in gewisser Weise seine Schüler und ich bin mit Brian jetzt schon seit über 20 Jahren befreundet. Wir teilen das leidenschaftliche Interesse am Improvisieren und Erforschen von Wortstrukturen. Das Album, das ich mit ihm gemacht habe, war eine Kombination davon. Es war nicht unbedingt etwas Unerwartetes, was wir da gemacht habe. Es war vertrautes Terrain, auf dem wir uns zusammen bewegt haben, weil es auf der gleichen Philosophie basiert. Wir haben die gleiche Wellenlänge und Brian ist ein wirklich feiner Kerl.  

Underworld, Barbara, 030 Magazin

Auf dem Album mit Brian Eno gibt es starke musikalische Einflüsse von Afrobeat und Krautrock. Diese spezielle Form der Motorik spürt man auch bei „I Exhale“, der aktuellen Single des neuen Underworld Albums. Woher kommt das?

Kraftwerk haben für uns alles verändert. Als Jugendliche haben wir „Autobahn“ gehört. Damals gab es nichts Vergleichbares an elektronischer Musik – nirgends. Das war wirklich herausragend, diese neue Musiksprache, die aus Deutschland kam von Bands wie Faust, Neu! Amon Düül, Can und Kraftwerk. Wir haben das damals in Großbritannien in der John Peel Show im Radio gehört. Dieses Vermächtnis der elektronischen Rebellion und Revolution aus Deutschland war neben Dub, Reggae und Filmmusik ein massiver Einfluss für uns, als Rick und ich uns 1979 kennen lernten. Diese Einflüsse haben Underworld bis heute.

Eurer alter Hit „Born Slippy“ scheint irgendwie zeitlos zu sein. Was denkst du, woran liegt das?

Da müsste ich mal ein paar Leute fragen (lacht). Es liegt wohl an der Verbindung zu dem Film von Danny Boyle. „Trainspotting“ und „Born Slippy“ sind Zwillinge und unterstützen sich gegenseitig. Zusammen beschreiben sie eine gewisse Zeitperiode in den 90ern für Großbritannien und sicher auch für Europa. Deshalb bewahren sie ihre Mystik und Magie. Wir sind als Underworld wirklich sehr privilegiert, so einen ikonischen No.1 Hit in den Charts gehabt zu haben. Da gibt es nur ein paar vergleichbare Songs, und die sind meistens von Rockbands.

Danny Boyle soll bereits an „Trainspotting 2“ arbeiten. Ist Underworld auch wieder mit dabei?

Oh, das kann ich nicht beantworten. Im Moment denken wir wirklich nur an unser neues Album. Falls Danny sich bei uns meldet, wir haben eine Zusammenarbeit mit ihm noch nie abgelehnt.

Die Zusammenarbeit mit Danny Boyle zieht sich durch die Vita von Underworld wie ein roter Faden.

Ja, wir haben Musik für fünf oder sechs Filme von ihm gemacht und auch für die Frankenstein-Aufführung des Nationaltheaters in London. Dann fragte er uns für die Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele an.

Wie war das für euch?

Ich war nicht so stark involviert und habe nur wenig dazu beigetragen, das war mehr Ricks Ding. Er hat die Musik fast alleine gemacht. Und ich denke, dass er einen echt phantastischen Job abgeliefert hat. Und Danny Boyle ist wirklich ein außergewöhnlicher Regisseur, der immer etwas Unerwartetes bringt.

Hier geht’s zum zweiten Teil des Interviews