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Das Wohnmobil als Zeitmaschine – Interview mit Regisseur Hans Weingartner zu „303“

Mit seinem Hochschul-Abschlussfilm „Das weisse Rauschen“, gelang Hans Weingartner gleich ein großer Coup: euphorische Kritiken, diverse Preise und die Star-Startrampe für Daniel Brühl, seinen WG-Kumpel aus Köln. Brühl spielte danach auch die Hauptrolle im Anarchostück „Die fetten Jahre sind vorbei“, das in Cannes für Furore sorgte und hierzulande über 900.000 Zuschauer begeisterte.

Nach seiner TV-Satire „Free Rainer“ präsentierte Weingartner, der einst auch Neurowissenschaften studierte, mit „Die Summe meiner einzelnen Teile“ das Drama eines Helden, der mit dem Druck seiner Umgebung nicht mehr zurecht kommt. Nun begibt sich der Regisseur auf die Spuren von Richard Linklater und dessen dialogsprudelnder Lovestory „Before Sunrise“ – für die er einst als Produktionsassistent tätig war. In „303“ fahren zwei Studenten in einem Oldtimer-Wohnmobil von Berlin nach Portugal und kommen sich bei reichlich Streiterei immer näher. Mit dem Regisseur sprach [030] Mitarbeiter Dieter Oßwald.

Herr Weingartner, Ihr letzter Film „Die Summer meiner einzelnen Teile“ liegt sieben Jahre zurück. Warum hat es so lange gedauert bis zu diesem neuen Projekt? 

Weingartner: Zum einen lag es daran, dass die Finanzierung sich als recht schwierig erwies. Zum anderen dauerte die Suche nach passenden Schauspielern sehr viel Zeit. Wir fanden einfach keine Darsteller, die diese Dialoge so natürlich sprechen konnten, wie ich mir das vorstellte. Wenn man den fertigen Film sieht, erscheint einem das völlig mühelos. Aber komplexe Dialoge sind extrem schwer für Schauspieler, die meist nur kurze Sätze gewohnt sind.

Wie mühelos gestaltet sich das Schreiben dieser Dialoge? Wie trifft man den richtigen Tonfall für die Millenials?

Weingartner: Wenngleich ich biologisch älter bin, fühle ich mich wie 25 und rede auch so – geht uns das nicht allen so? (Lacht) Nein, in der Vorbereitung habe ich etliche Interviews mit Jugendlichen geführt, um zu erfahren. was die so denken über Monogamie, über Politik und über ihre Zukunft.

 

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Foto: © Kahuuna Films

Wie viel der Dialoge sind improvisiert?

Weingartner: Im Unterschied zu meinen früheren Film wurde bei „303“ überhaupt nicht improvisiert – auch wenn es so wirken mag. Der Effekt geht so weit, dass nicht wenige Zuschauer auf der Berlinale glaubten, es würde sich um einen Dokumentarfilm handeln – was bei „Das weisse Rauschen“ damals auch schon häufig zu hören war. Das ist das größte Kompliment, das man mir machen kann. Mir macht das Schreiben von Dialogen jedenfalls großen Spaß.

Wie viel Symbolik steckt in dem alten Wohnmobil der 80-er Jahre?

Weingartner: In jedem meiner Filme kommt ein Wohnmobil vor, insofern bin ich mittlerweile Experte. Unser Bus hat einfach diese coole, gemütliche und friedliche Ausstrahlung. Durch die großen Fenster fühlt man sich wie im Freien. Zudem gibt es viel Platz, was für das Kamerateam sehr wichtig ist. Und natürlich entsteht auch dieser Zeitmaschinen-Effekt bei einem Oldtimer aus den 80er Jahren: das Leben lief damals noch langsamer. Verlieben als langsame Annäherung zweier Seelen, anstatt Wisch-und-Weg bei Tinder. Nicht umsonst kommt auf dieser Reise nie ein Smartphone zum Einsatz.

Die Ähnlichkeit zu „Before Sunrise“ von Richard Linklater ist augenfällig…  

Weingartner: Ja, ich habe mich beinhart bei Richard Linklater bedient. Er war mein erstes großes Vorbild als Regisseur. Bei den Wiener Dreharbeiten von „Before Sunrise“ war ich damals als kleiner Produktionsassistent dabei, und Rick gab mir den Rat, Filme von John Cassavetes anzuschauen. Der hat die moderne Schauspielerei für das Kino erfunden und von der Theaterhaftigkeit befreit. Ich weiß noch gut, wie ich mir auf der Filmhochschule Köln alle Videos von Cassavetes besorgt habe. Er hat in den 70er Jahren bereits das gemacht, was später von der „Dogma“-Bewegung als neu ausgerufen wurde.

Hatten Sie Kontakt mit Linklater für dieses Projekt?

Weingartner: Ich habe Richard nach „Before Sunrise“ immer wieder getroffen, sei es in Cannes oder auf der Berlinale. Wir haben in Amerika auch denselben Anwalt. Für „303“ hätte ich allerdings keinen Grund gewusst, weshalb ich ihn befragen sollte. Vielleicht hatte ich auch einfach nur Angst, dass er sauer wäre …(Lacht)

Love-Story oder Politfilm – das ist bei „303“ die Frage!

Weingartner: Ursprünglich wollte ich gar keinen Liebesfilm machen, sondern junge Menschen zeigen, die sehr politisch sind und sich leidenschaftlich über ihre Vorstellungen unterhalten und streiten. Die Lovestory ist fast von selber passiert. Vielleicht läuft sie deswegen nicht nach den üblichen Regeln des Genres ab: Bei uns findet der erste Kuss erst am Ende des zweiten Akts statt. Man kann sich durchaus fragen, ob die beiden überhaupt je zusammen kommen. Aus der Absichtslosigkeit entstehen oft die größten Wunder. Jetzt ist die Lovestory wie ein trojanisches Pferd für den Politfilm.

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Foto: © Alamode Filmverleih

Weingartner: Sie haben vor der Filmhochschule Neurowissenschaften studiert. Wie nützlich sind diese Vorkenntnisse für das Kino?

Weingartner: Ich bin kein Arzt und habe keinen Doktortitel. Aber ich habe in diesem Studium viel gelernt über Wahrnehmung. Es gibt zum Beispiel gewisse Aufmerksamkeitsrhythmen in der Wahrnehmung: drei Sekunden, sieben Sekunden und drei Minuten. Deswegen sind Filmschnitte meist in diesem Takt. Für die Dialoge in „303“ war meine wissenschaftliche Bildung auch hilfreich. So sind die Gespräche nicht nur blumig-poetisch wie sonst immer im Kino, sondern enthalten auch ein paar interessante Fakten, die man mit nach Hause nehmen kann. Generell sind der Wissenschaftler und der Filmemacher in mir allerdings zwei verschiedene Menschen. Die reden manchmal miteinander und manchmal auch nicht.

Wie sehr fühlen Sie sich als Don Quichotte im deutschen Kino?

Weingartner: Ich möchte sicher nicht krampfhaft den Don Quichotte geben, aber manchmal komme ich mir echt so vor, denn es ist jedes Mal derselbe Mist: in der Finanzierungsphase lehnen fast alle meine Projekte ab, aber hinterher klopfen mir dann alle auf die Schulter. Das ist super anstrengend und man fühlt sich wie ein Idiot. Meine Stoffe sind halt ein wenig sperrig, und damit haben viele in der Branche Probleme, vor allem die Sender. Vielleicht liegt es daran. Oder ich kriech nicht genug Leuten in den Arsch. Das Gremium der deutschen Filmförderanstalt FFA hat jedenfalls in 15 Jahren noch nie ein Projekt von mir gefördert. Alle meine Anträge wurden abgelehnt.

Wie schätzen Sie das Potenzial von Amazon, Netflix und Co. für independent Regisseure ein?

Weingartner: Mich hat noch niemand angerufen. Da ist man vermutlich mehr mit Matthias Schweighöfer unterwegs. Obwohl mir der Reed Hastings mal erzählt hat, dass sein Programmchef Ted Sarandos ein großer Fan von „Die fetten Jahre sind vorbei“ ist … vielleicht sollte ich da selber mal anrufen ….

Auf den Kommentaren in Sozialen Medien liest man die Forderung nach einer Fortsetzung. Wäre das auch Ihr Plan?

Weingartner: Super gerne. Ich habe noch so viele Texte auf meinem Laptop. Schließlich schreibe ich schon seit 1997 an diesen Dialogen. Unser Bus hat jedenfalls gerade zwei Jahre TÜV bekommen.

„303“ läuft seit dem 19. Juli in den deutschen Kinos.

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