Ohne Unterlass 27:03,44 Stunden am Klavier zu sitzen und somit den Weltrekord im "Live über wahnsinnig viele Stunden an einem Stück zu spielen" zu brechen, dazu gehört schon eine ganze Menge Enthusiasmus?

Der kanadische Musiker Chilly Gonzales scheint diesen Ehrgeiz zu besitzen. Jedenfalls verspürte der Musiker – im wahren Leben als Jason Charles Beck unterwegs – im Mai 2009 eben diesen. In dessen Folge kam es ihm in den Sinn die alte Bestmarke, deren Halter, wie sich das gehört, längst vergessen ist, zu brechen. Bilder der Rekordeinstellung finden sich im Netz zuhauf. Zeugnisse eines Musikverrückten der mit seiner charismatischen Art das Publikum über Stunden mitzureißen vermag. Als sich der 40jährige vor zwölf Jahren mit seiner Platte „Gonzales über Alles“, in Anlehnung an den Punkklassiker „California über Alles“ der Dead Kennedys, auf dem kleinen Berliner Label Kitty Yo in die Herzen der Berliner Szene spielte, waren seine musikalischen Ausflüge grobschlächtiger. Als selbsternannter „Worst MC“ mischte Gonzales, zusammen mit seiner Landsmännin Peaches, die junge Berliner Elektroclash-Szene der Nuller Jahre auf. Feinsinnige Piano-Attitüden fanden sich in seiner hauptstädtischen Phase nicht. „In Kanada hätte ich die elektronische Richtung nie als mögliche Option für mich betrachtet. Ich stand auf Jazz und Klassik, auf handgemachte Musik von Leuten, die ihr Metier beherrschen“, so der Musiker gegenüber dem Jazzdimensions Magazin. Die elektronische Party-Monotonie wurde dem heute in Paris lebenden Gonzales dann auf Dauer auch zu langweilig. Für viele seiner feierfreudigen Berliner Anhänger, die den musikalischen Weg des Gonzales über seine hiesige Zeit hinaus nicht kannten, war es deshalb verwunderlich das die Rampensau, die stets für sich beanspruchte "Aufmerksamkeit sei das Wichtigste – mit „Solo Piano“ 2004 eine nahezu klassische Jazzplatte vorlegte. Gonzales selber beschreibt dies als logischen Schritt: „ Nach vier, fünf Jahren begann ich mich zu fragen, wie vielleicht eine bessere Balance zwischen Persönlichkeit und Musik hergestellt werden könnte. Wenn jemand dich anschreit, ist das etwas, was zu Beginn funktioniert; es erregt Aufmerksamkeit. Wenn das aber in einem fort so weitergeht, wird es lästig.“ Diese Erkenntnis und die daraus resultierende Unvorhersehbarkeit seitens des Künstlers hat dazu beigetragen, dass Chilly Gonzales auch heute noch für Begeisterungsstürme sorgt und man sich seiner nicht müde fühlt. Den Weltrekord gönnt man ihn deshalb auch von ganzen Herzen. Aufmerksamkeit hin oder her.

Das Album "Solo Piano II" ist bei Gentle Threat erschienen.