A War, Kino, 030 Magazin

Krieg ist Chaos und damit ein in sämtlichen zivilisationstheoretischen Fundamenten aufgelöster und unübersichtlicher Zustand. Unberechenbarkeit, beständige Bedrohung, irrationales Verhalten unterschiedlichster Kriegsparteien und Konfliktherde, die in ihrer Komplexität kaum greifbar scheinen, dominieren das Tagesgeschäft in sogenannten Krisenregionen. Übermenschliche Fähigkeiten braucht es, um in diesem feindlichen Umfeld nicht nur zu überleben, sondern nach Plan zu funktionieren und sich keine Fehler zu erlauben. Denn auch im absoluten Ausnahmezustand gelten Regeln und Gesetze. Regeln, die das humanitäre Völkerrecht definiert. Doch wie wirklichkeitsnah ist die Einhaltung dieser Gesetze in einer von Vernunft befreiten, entmenschlichten Umgebung? Diese Frage untersucht Tobias Lindholm in seinem dritten Spielfilm "A War".

Kommandant Claus M. Pedersen steht mit einem Bein im Kriegschaos Afghanistans und mit dem anderen zuhause in Dänemark, wo Frau und Kinder auf die Rückkehr des Familienvaters warten. Ein Satellitentelefon verbindet in unregelmäßigen Abständen die eine Welt mit der anderen. Die Diskrepanz, mit der die Alltäglichkeit dieser zwei so gegensätzlichen Welten aufeinanderprallt, ist auch für den Zuschauer kaum auszuhalten. Zynismus und Panikattacken auf der einen Seite und die im absoluten Kontrast zu den existentiellen Erfahrungen der Männer stehenden, fast unbeschwert nach Geborgenheit und Halt suchenden Kinder und Ehefrauen auf der anderen Seite. Lindholm interessiert die Gradwanderung zwischen der heilen und der beschädigten Welt. Zweifelsohne, so versteht der Beobachter, hinterlässt die Begegnung mit der existentiellsten aller Extremsituationen ihre Spuren in der menschlichen Psyche. Und auch die Begegnung mit der Zivilbevölkerung frisst sich in die Eingeweide mancher Soldaten. Familienväter leben auf beiden Teilen der Frontlinie. Beide wollen ihre Kinder und Frauen vor jedweder Gefahr beschützen. Es gibt nur einem Unterschied, wie ein afghanischer Vater Claus erklärt: "Ihre Kinder sind in Sicherheit." Als Claus während seines Einsatzes mit seinen Männern in ein Kreuzfeuer gerät, trifft er eine folgenschwere Entscheidung, deren Konsequenzen auch seine eigene Familie zu spüren bekommt. Ohne die Moralkeule zu schwingen oder den Zuschauer missionieren zu wollen, beschreibt Lindholm ein Grundgesetz kriegerischer Auseinandersetzungen: Es gibt keinen Krieg, bei dem man sich nicht die Hände schmutzig macht. Krieg ist hässlich, dreckig, feindselig und unkalkulierbar. Bruchteile von Sekunden entscheiden über Leben und Tod. Zeit ist also keine verfügbare Größe, wenn es um die "richtigen" Entscheidungen geht. Sie wäre aber notwendig, um die zu berücksichtigenden Faktoren, wie die Vermeidung ziviler Opfer, wirklich auszuschließen. Doch Feind und Bedrohung sind oft ein diffuses Unbekanntes, das selten als direkter Gegner in Erscheinung tritt.

A War, Kino, 030 Magazin

Kommandant Claus Michael Pedersen (Pilou Asbaek) bespricht mit seinem engsten Vertrauten Najib Bisma (Dar Salim) das weitere Vorgehen in der Kriegszone. © Studio Canal

Messerscharf seziert der Regisseur und Drehbuchautor – in letzterer Funktion zeigte er sich u.a. auch für die herausragenden Drehbücher zu Thomas Vinterbergs "<em>Die Jagd</em>" und die ersten beiden Staffeln der Politserie "<em>Borgen</em>" verantwortlich – seine Geschichte um Gewissenskonflikte und Fürsorgepflicht und beleuchtet die Ambivalenz von moralischen und ethisch korrekten Fragen. Dabei beweist der 39-jährige Däne ein einzigartiges Gespür und eine für das dänische Kino so typisch sensible Beobachtungsgabe für die Schauplätze, der im Inneren ausgetragenen Schlachten seiner Protagonisten. Unterstützt durch Magnus Nordenhof Jøncks Handkamera und den Einsatz von Laiendarstellern, in den Filmsequenzen in Afghanistan (gedreht wurde allerdings in der Türkei), entwickelt Tobias Lindholm einen dokumentarischen Realismus, der keine Möglichkeit lässt, auf Distanz zur Geschichte zu gehen. Beklemmend, wie sehr dabei gerade die Gefechtsszenen an Faroukys und McEvoys 2015 auf der Berlinale ausgezeichneten, afghanischen Dokumentarfilm "<em>Tell Spring not To Come This Year</em>" erinnern. Der Zuschauer soll involviert werden und dem nervenzerreißenden Dilemma – soweit möglich – selbst begegnen. Und in der Tat geht dem Zuschauer unablässig nur eine Frage durch den Kopf, wie würdest du entscheiden? Anders als große Blockbusterproduktionen, setzt der Autorenfilmer weniger auf Effekt und Action, sondern lässt sich auf die Psychologie seiner Personen ein. Er macht sich die Mühe, mit einigen Mythen und blinden Flecken über Militär, Krieg und Einsatzkräfte zu brechen. Die inneren Konflikte lässt der Zuschauer nicht im Saal, die brüten weiter im Kopf und werden da wohl auch noch einige Tage weiter verharren. In einer Zeit, in der Afghanistan, zum sicheren Herkunftsland erklärt werden soll, wo aber – wie die NBC erst Ende Januar berichtete – inzwischen 30 % des Landes von den Taliban kontrolliert werden, und in dem sich bis Ende 2016 die US-amerikanischen Truppen komplett zurückgezogen haben sollen, lenkt Lindholm den Blick auf aktuelle, wenn auch verschüttete Themen. Kino, das einen nicht einfach gehen lässt. – Text: SuT

A War 

Länge: 115 Minuten

Regie: Tobias Lindholm

DarstellerInnen: Pilou Asbaek, Tuva Novotny, Dar Salim, Søren Malling,

Kinostart: 14. April 2016